The End (Die neue Welt)
zurückließ.
Irgendwann, als die Tage wärmer wurden und morgendliche Sonnenstrahlen einen Hauch von Normalität in ihr Leben zurückbrachten, war Sam gegangen.
Auf ihrem Rücken trug sie eine alte Tasche, gefüllt mit den wenigen Vorräten ihrer kleinen Speisekammer. In der Hand hielt sie ein Gewehr, das sie im Haus eines Nachbarn gefunden hatte. Ob sie in der Lage war, es zu benutzen, wusste sie nicht; und sie wollte es auch nie herausfinden. Doch das Gewehr erinnerte sie an eine Zeit, in der sie, zusammen mit Mike, oft zu Gast in diesem Haus gewesen war, und John, ihr Nachbar, das Gewehr eines Tages, während einer hitzigen Diskussion über Einbrüche und Überfälle, aus dem Schrank geholt und es mit vor Stolz geschwellter Brust seinen Freunden gezeigt hatte. John war ein Mann um die Vierzig gewesen, der es in seinem Leben zu nichts brachte. Er hatte einen miesen Job, keine Frau und außer Samantha und Mike keine Freunde. Das Gewehr verlieh ihm die Macht, die er in seinem Leben gerne gehabt hätte.
John war irre, wie Mike mehr als einmal mit einem süffisanten Lächeln anmerkte. Doch Sam mochte ihn, und jetzt trug sie Johns Gewehr bei sich und hoffte auf das gleiche Machtgefühl, in welchem er sich wie ein kleines Ferkel so gerne gesuhlt hatte, aber es wollte sich nicht einstellen.
Unzählige Wochen war es her, dass Samantha, ohne einen Blick zurückzuwerfen, durch die Straßen ihrer Stadt ging, die letzten Häuser hinter sich zurückließ und hinaus auf die Felder und Äcker lief, die sich um die Stadt schmiegten und in besseren Tagen für den Wohlstand der Menschen gesorgt hatten.
Sie warf auch keinen letzten Blick den Hügel hinauf, wo sich seit ihrer Kindheit ein alter Wohnwagenpark befand und die Ärmsten und Aussteiger gelebt hatten. In der Stadt hatte man sie nur die ›Parkleute‹ genannt und dabei abfällig die Augenbrauen gehoben oder die Nase gerümpft. Als Sam ein Kind war, lebte ihre beste Freundin im Wohnwagenpark. Sie war ein ›Parkmädchen‹, wie sie sich selbst bezeichnete und dabei lachte. Wendy war nicht das klügste oder hübscheste Mädchen gewesen, doch sie war aufgeweckt und abenteuerlustig und längst nicht so zurückgeblieben, wie die meisten Menschen von ihr dachten.
Wendy war eines Tages mit ihrer Familie aus dem Wohnwagenpark verschwunden, und Sam war nie wieder dorthin gegangen. Sie wuchs zu einer jungen Frau heran und sah dabei zu, wie die Wohnwagen immer mehr verrotteten und die Leute, die gezwungen waren, dort zu leben, immer ärmer wurden. Sam hatte oft an ihre Freundin von damals gedacht, wenn ihr Blick zum Hügel fiel, doch als auch sie alles hinter sich zurückließ, dachte sie nicht mehr an Wendy.
Heute fehlt ihr die Stadt nicht mehr. Alles, was sie dort zurückließ, sind Dinge, die sie ersetzen kann. Das wirklich Wichtige hat sie mitgenommen.
Die Erinnerungen an ihr früheres Leben trägt sie wie einen Zwilling in ihrem Inneren vergraben und nimmt ihn nur heraus, wenn sie glaubt, an der Einsamkeit zugrunde zu gehen. Dann denkt sie an Mike, an seine kindliche Art, einen Scherz zu machen, und daran, wie breit sein Mund werden kann, wenn er lächelt. Mike war unfähig, sie mit irgendeiner Sache zu veralbern, da er sich meist selbst durch ein unkontrollierbares Zucken seiner Mundwinkel verriet. Doch Sam ließ ihn immer in dem Glauben, dass sie sein Schauspiel nicht durchschaute, weil Mike eine leichtlebige Freude an den Tag legen konnte, wenn er sie später über seine Schandtat aufklärte.
Sie ist sich darüber bewusst, dass sie Mike wahrscheinlich nie wieder sehen wird. Er ging fort, einfach so, und sie hat nie verstanden, was eigentlich geschehen ist.
Mike existiert nur noch als schemenhaftes Gespenst in ihrem Kopf. Wenn er in ihrer Erinnerung zu ihr spricht, fällt es ihr zunehmend schwerer, sich den Klang seiner Stimme ins Gedächtnis zu rufen. Er ist nur noch ein Geist, der ab und zu durch ihre Gedanken spukt, um sie vor dem Wahnsinn zu retten.
So wie John, der irre Nachbar, oder Mr. Masters, der alte Mann, der im Haus gegenüber lebte und Sam jeden Morgen zuwinkte, wenn sie das Haus verließ. Sie mochte den alten Mann, der erst zwei Monate zuvor seine Frau verlor und sich in dieser kurzen Zeitspanne von einem rüstigen, lebensfrohen Mann in ein seelisches, gealtertes Wrack verwandelt hat. Sam spürte jedes Mal, wenn er in seinem zerschlissenen Morgenmantel die Zeitung holte, einen schmerzhaften Stich in der Brust.
Mr. Masters war nun mit Sicherheit
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