The New Dead: Die Zombie-Anthologie
selbst ein Bild davon machen.
Wir waren auf einer Junggesellenparty, also waren wir nach anderthalb Stunden – mit Titten vor den Augen – betrunken, müde und verwirrt. Man könnte auch sagen, wir waren alle nicht mehr bei klarem Verstand, und niemand hatte mehr die Willenskraft, Ryan zu widersprechen. Wir taumelten betrunken ins Auto und folgten Ryan zu seinem etwa fünf (erstaunlich bullenfreie) Kilometer weit entfernten kranken Ort.
Es gab keinerlei Hinweise auf die Pine Box , die angezeigt hätten, dass hier irgendetwas war, geschweige denn ein Club. Das Gebäude sah aus wie ein Lagerhaus. Wir stellten unser Auto auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums auf der anderen Straßenseite ab – Ryan sagte, das müssten wir – und gingen hinüber zu dem unbeleuchteten Gebäude. Ryan klopfte an die Tür, und als man uns öffnete, sprach er leise mit dem Türsteher. Einige Sekunden später waren wir drin.
Wir hatten keine Ahnung, auf was wir uns da eingelassen hatten, und hätten wir es vorher gewusst, wäre höchstwahrscheinlich keiner von uns mitgegangen. Doch nun hatte uns die Abenteuerlust gepackt, und so betraten wir das Lagerhaus, das man behelfsmäßig zu einem Club umgebaut hatte. Rote Lampen blitzten auf, elektronische Musik hämmerte auf uns ein, und es roch nach Bier inPlastikbechern. Mehrere Tische standen um drei schäbige, schlampig zusammengenagelte Podeste herum, auf denen Stripperinnen tanzten. Wiederbelebte Stripperinnen.
„He, Alter, vergiss es!“, lallte Joe laut, aber doch auch amüsiert. „Das ist doch total krank.“ Noch während er herumnölte, bahnte er sich schon seinen Weg durch die Menge. Hätte ein anderer gesagt, er wollte da nicht rein, wären wir wohl alle auf der Stelle wieder gegangen. Doch Joe war drin und wir folglich auch. Er fand einen großen Tisch. Nachdem wir Platz genommen hatten, riefen wir nach der Bedienung. Man konnte sehen, dass es ihm gefiel … die hämmernde Musik, die Lichter, der Geruch des Biers, das auf dem Betonfußboden verschüttet worden war.
Die Kellnerin war, wie ich nach einigen Sekunden feststellte, eine Reanimierte. Sie war nicht so hübsch wie die Stripperinnen und trug ein knappes Cocktail-Kleid, jedoch keine Maske. Irgendwie war mir nicht aufgefallen, dass die Stripperinnen gar keine Masken aufgesetzt hatten … wohl weil sie nichts anhatten. Doch diese Kellnerin mit ihren spröden blonden Haaren und dem unverhüllten toten, aufgedunsenen Gesicht wirkte auf mich unbeschreiblich grotesk. Sie war wohl noch nicht sehr alt gewesen, als sie starb, aber ganz schön fett. Nun bewegte sie sich mit langsamen, schwerfälligen Schritten, wie eine Mumie aus einem alten Horrorfilm. Ohne jeden Eifer nahm sie unsere Bestellungen entgegen und brachte uns kurz darauf unsere Drinks.
Die Musik war zwar laut, doch nicht so laut, dass man sich nicht hätte unterhalten können, und ich hatte das Gefühl, dass das auch wichtig war. Die Leute kamen hierher, um zu gucken, aber auch, um Kontakt aufzunehmen. Es waren Reanimierten-Fetischisten. Vor dieser Nacht hatte ich nicht gewusst, dass es sie gab, doch als Ryan uns von seinen Freunden, seinen Internetgroups und den anderen Szenetreffs in der Stadt erzählte, wurde ich auf diese Subkultur aufmerksam. Da gab es tatsächlich Menschen, die nur auf Reanimierte standen! Kann man sich das vorstellen?
Joe mit seinem Suffkopf schien sich zu amüsieren, doch Ryan fühlte sich wie im siebten Himmel. Er ging auf die Bühne, um den Stripperinnen Geld zuzustecken, und erwarb einen ungelenken, ruckeligen Lapdance einer Reanimierten. Genüsslich drückte er sein Gesicht zwischen die wiederbelebten, hin und her schwabbelnden Reanimierten-Titten.
Für mich war er das größte Arschloch, das ich je kennengelernt hatte, und ich dachte, wie grässlich die Pine Box doch war. Es war mir zuwider, die bleichen, aufgedunsenen, merkwürdig gummiartigen Körper zu betrachten. Selbst diejenigen, die zum Zeitpunkt ihres Todes hübsch oder gar schön gewesen waren, sahen jetzt grotesk aus, und viele wiesen noch die Narben der Verletzungen auf, an denen sie gestorben waren. Eine Reanimierte schien lediglich aus Rissen und Schnitten zu bestehen. Eine andere, die zu Lebzeiten vielleicht einmal die Schönste von allen gewesen war, hatte fürchterliche rote, kreuzförmige Male an den Handgelenken. Es war abartig, respektlos und unrecht, etwas, wofür mir die Worte fehlten. Ich hatte tote Dinge noch nie leiden können, und mir war vollkommen klar,
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