The Walking Dead: Roman (German Edition)
Wohnzimmer zu dem Koffer, in dem sich ihr Bass befindet. In ihrem Mundwinkel steckt der behelfsmäßige Joint. »Daddy, sag, was wir spielen, und ich schaue, was ich auf dem Bass zusammenbekomme.«
»Ach, was soll’s? Kann ja nicht schaden«, meint David Chalmers schließlich und rappelt sich auf.
Die Chalmers holen ihre Instrumente aus den Koffern und stimmen sie. Als sie so weit sind, stellen sie sich nebeneinander auf. Sie wirken ungefähr so entschlossen wie eine Einheit der Marines. April ist vorne an der Gitarre, während David und Tara seitlich etwas weiter hinten mit Bass und Mandoline stehen. Philip kann sich gut vorstellen, wie sie auf der Bühne der Grand Ole Opry stehen. Er sieht, wie Brian die Atmosphäre in sich aufsaugt und es sichtlich genießt. Wenn sich Brian Blake mit etwas auskennt, dann mit Musik. Philip hat seinen Bruder schon immer wegen seiner Kenntnisse bewundert, und er ist sich sicher, dass er jetzt geradezu im siebten Himmel ist, da er endlich wieder Musik hören darf.
Die drei fangen zu spielen an.
Philip wird ganz ruhig.
Es kommt ihm so vor, als ob sein Herz plötzlich mit Helium gefüllt würde.
Es liegt nicht nur an der schlichten und unerwarteten Schönheit der Musik – die erste Nummer ist ein wunderbarer irischer Volkstanz mit einer traurigen, kräftigen Bassstimme und einem energischen Gitarrenriff, der an einen hundert Jahre alten Leierkasten erinnert. Es ist auch nicht die süße kleine Penny, die anscheinend von dem Lied ergriffen ist und mit einem völlig verträumten Ausdruck auf dem Boden sitzt. Es hat auch nichts mit der einfachen, aber doch zarten Melodie zu tun, die angesichts der ganzen Schrecklichkeiten, die um sie herum passieren, Philip das Herz bricht. Nein, es ist der Augenblick, als April zu singen anfängt, in dem sich Philips Seele mit Honig füllt:
There’s a shadow on my wall, but it don’t scare me at all
I’m happy all night long in my dreams
So klar wie eine Glasglocke, kein Ton sitzt falsch. Aprils spektakuläre, samtige Altstimme erfüllt das Wohnzimmer. Sie streichelt die Noten und verleiht dem Ganzen etwas beinahe Sakrales. Sie besitzt einen Touch Soul, eine Keckheit, die Philip an eine Kirchenchor-Sängerin in einer Kapelle auf dem Land erinnert.
In my dreams, in my dreams
I’m happy all night long in my dreams
I’m safe here in my bed, happy thoughts are in my head
And I’m happy all night long in my dreams
Die Stimme ist die Antwort auf ein schmerzhaftes Verlangen in Philip – etwas, das er seit Sarahs Tod nicht mehr erfahren hat. Plötzlich entwickelt er fast einen Röntgenblick. Während sie ihre Gitarre spielt und singt, bemerkt er auf einmal sämtliche kleinen Einzelheiten bei April Chalmers, die ihm vorher nicht weiter auffielen. Zum ersten Mal sieht er ein kleines Kettchen um ihren Fußknöchel, das Tattoo einer kleinen Rose neben ihrem Ellenbogen und die blassen Rundungen ihrer Brüste – so weiß wie Perlmutt – zwischen den Knöpfen ihrer Bluse.
Das Lied ist zu Ende, und jeder im Zimmer applaudiert – Philip am lautesten von allen.
Am nächsten Morgen gibt es ein dürftiges Frühstück aus altem Müsli und Trockenmilch. Philip sieht zu April hinüber, die in der Nähe der Eingangstür ihre Wanderstiefel anzieht und die Ärmel ihres Sweatshirts mit Klebeband zuklebt.
»Ich dachte, du möchtest vielleicht noch einen zweiten«, meint Philip freundlich. Er hält in jeder Hand einen Becher mit Kaffee. »Ist zwar nur Pulverzeug, aber besser als nichts.« Er sieht, wie sie auch ihre Fesseln mit Klebeband umwickelt. »Was machst du da eigentlich?«
Sie blickt auf den Becher. »Hast du den Rest der Fünf-Liter-Flasche dafür genommen?«
»Sieht ganz so aus.«
»Jetzt haben wir nur noch fünf Liter für uns sieben. Das reicht nicht mehr lange.«
»Was hast du vor?«
»Mach jetzt bitte kein Theater.« Sie schließt den Reißverschluss ihres Sweatshirts und zieht sich den Pferdeschwanz zurecht, ehe sie ihn in der Kapuze versteckt. »Das habe ich schon eine Weile geplant und will es alleine durchziehen.«
»Was?«
Sie öffnet den in die Wand eingelassenen Kleiderschrank und holt einen Baseballschläger aus Metall hervor. »Den haben wir in einer der Wohnungen gefunden. Wir dachten uns, dass er irgendwann einmal nützlich sein würde.«
»April, was hast du vor?«
»Kennst du die Feuerleiter auf der Südseite?«
»Du gehst da nicht alleine raus.«
»Ich schlüpfe aus der Wohnung 3F, steige die Leiter hinab und
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