The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)
»Niemand antwortet.« Ihr blondes Haar war völlig zerzaust. Sie trug ein durchlöchertes Nachthemd aus Baumwolle. Es bekam sie ja sowieso niemand zu Gesicht, also weshalb sich die Mühe machen und sich anziehen?
Grandma saß neben ihr und strickte.
Klick. Klick.
Ich erinnerte mich, wie Grandma uns früher vorgelesen oder mit uns gesungen oder bayerischen Apfelkuchen gebacken hatte.
»George? Christine?« Dads Stimme wurde immer leiser.
Keine Antwort.
George und Christine Smith wohnten nebenan. Zumindest früher mal. Ihre Tochter Isabel war meine beste Freundin.
Vor 1 141 Tagen habe ich Izzy zum letzten Mal gesehen. Obwohl einen ihre ständige Plapperei manchmal fast zum Wahnsinn treiben konnte, hätte ich jetzt alles dafür gegeben, sie aufgeregt über ihre Lieblingsband oder den süßen neuen Jungen schnattern zu hören. Ich vermisste sie so sehr.
»George? Christine? Hallo? Bitte meldet euch.« Dad vergrub das Gesicht in den Händen.
Vor 2 Monaten hatten wir zum letzten Mal Kontakt zu George, Christine und Izzy. Oder sonst jemandem.
63 lange Tage.
»Ich halte das nicht mehr aus!« Dad ließ das Mikrofon fallen und sprang auf. Der Stuhl kippte um. Wir starrten ihn an. Ihn plötzlich so aufgeregt zu sehen, erschreckte mich.
»Ich werde nicht hier rumsitzen und warten, bis wir alle verhungert sind.«
Ich setzte mich auf, ignorierte Mias protestieren des Gemurmel und ihre kleine Hand, die nach meinem Oberteil griff. Selbst Grandma hatte aufgehört zu stricken.
Mom stand auf. »Was hast du vor?«
Dad antwortete nicht. Er ging in die Vorratskammer und kehrte kurz darauf mit einer Schrotflinte und seiner Polizeipistole zurück. Er steckte die Pistole in ein Gürtelholster, das er sich um die Hüfte schlang.
»Richard?« Moms Stimme zitterte. Sie ging auf ihn zu. Ich stieg aus dem Bett. Selbst Bobby richtete sich auf.
»Ich werde diesen verdammten Bunker verlassen und nach etwas Essbarem suchen. Ich werde nicht zulassen, dass meine Familie verhungert.«
Bobby sah mich an und hob fragend die Augenbrauen. Ich zuckte mit den Schultern – ich wusste ja auch nicht, was in Dad gefahren war. Moms Kinn bebte. Sie würde jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Du weißt doch, was sie gesagt haben, als die Tollwut ausgebrochen ist. Wir sollen uns verstecken und erst rauskommen, wenn sie die Mutation unter Kontrolle haben. Sie haben gesagt, wir sollen warten, bis das Militär Entwarnung gibt. Hast du das vergessen?«
Dad lachte bitter. »Das Militär hat vor drei Monaten aufgehört, überhaupt irgendwas zu senden, und davor haben wir ein Jahr lang immer nur dasselbe gehört. Das war nur eine verdammte Aufzeichnung, die sie immer wieder abgespielt haben. Glaubst du wirklich, dass die sich noch mal melden?«
Mom schluckte und schüttelte den Kopf. Dad hatte natürlich recht. Wir hatten seit einem Jahr keine neuen Informationen erhalten. Eigentlich hatte das Militär nur gesendet, dass wir in unseren Bunkern bleiben sollten. Sonst nichts, keine neuen Nachrichten. Nur eine blöde Tonbandaufzeichnung. Vielleicht gab es da draußen ja überhaupt niemanden mehr, der noch irgendetwas hätte senden können … Diesen Gedanken verdrängte ich ganz schnell wieder.
»Die Regierung ist schuld, dass wir überhaupt in diese Lage geraten konnten. Wir sind auf uns gestellt. Niemand wird kommen und uns retten. Entweder ich gehe raus, sehe mich um und organisiere was zu essen, oder wir werden hier verhungern.«
Mom schüttelte langsam den Kopf und griff nach seinem Arm. »Du weißt nicht, was da draußen los ist. Erinnerst du dich nicht an die Warnungen? Diese Tollwütigen könnten immer noch frei rumlaufen. Die waren ja völlig durchgedreht.«
»Ich bin bewaffnet. Ich kann mich verteidigen.«
Mom sah ihn flehend an und umklammerte seinen Arm so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Schatz, wenn ich nicht rausgehe und was zu essen suche, werden wir alle sterben«, sagte Dad mit einem ebenso inständigen Blick.
Mom schloss die Augen und nickte kurz. »Ich weiß.«
Dad lächelte und gab ihr einen Kuss.
1 141 Tage, seit ich zum letzten Mal den Himmel gesehen und die Wolken gezählt hatte.
Plötzlich war ich ganz hibbelig vor Aufregung. Meine Entscheidung war gefallen. »Ich komme mit.«
»Nein.«
Ich suchte meine Klamotten zusammen und zog sie über die Shorts und das Top, in denen ich geschlafen hatte. Jeans und ein langärmliges Shirt würden reichen – es war schließlich Sommer da draußen. Zumindest hoffte
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