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The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)

The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition)

Titel: The Weepers - Und sie werden dich finden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Winnacker
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erfüllte meinen Mund und umschloss meine Zunge. Die beste Kuchenfüllung der Welt. Selbstgemacht. Grandma wäre niemals eine Backmischung ins Haus gekommen.
    Nur noch einmal.
    »Sherry, bitte. Lass das sein. Sonst wird dir schlecht.«
    Das versuchte sie mir immer einzureden, damit genug Füllung für ihren bayerischen Apfelkuchen übrig blieb.
    »Nur ein Qualitätstest.«
    Sie versuchte, mich missbilligend anzusehen, schob mir dann aber doch die Schüssel hin.
    »Na gut, einmal noch. Aber dann wasch dir die Hände. Und erzähl ja nichts deiner Mutter.« Sie grinste mich verschwörerisch an.
    Die Käsesahne zerging mir auf der Zunge. Nichts auf der Welt schmeckte besser.

Zwei
    Mit geschlossenen Augen lauschte ich den Geräuschen in der Umgebung.
    Klick. Klick. Grandma strickte.
    Ein Bssss und das gelegentliche Klicken eines Druckknopfs. Dad versuchte, mit seinem Amateurfunkgerät Verbindung zur Außenwelt aufzunehmen.
    Ein langer Seufzer. Mom verlor die Geduld.
    Kein Vogelzwitschern, kein Wind in den Bäumen. Keine Ablenkung. Nichts.
    Ich öffnete die Augen und starrte auf einen kleinen Fleck an der weißen Decke. Dad hatte dort ein paar Tage, nachdem wir uns hier unten eingeschlossen hatten, eine Fliege erschlagen. Ich verbrachte manchmal Stunden damit, ihn anzustarren. Dann drehte ich mich zur Seite, so dass ich in den Raum sehen konnte. Dad saß vor dem Schreibtisch mit dem Funkgerät. Er hatte das Mikrofon in der Hand, drehte mit verzweifelter Miene an den Reglern herum und drückte auf Knöpfe. In letzter Zeit sah er ständig so verzweifelt aus. Seit uns das Essen ausgegangen war, hatte sich die Verzweiflung tief in sein Gesicht eingegraben. Mein Magen zog sich zusammen und entkrampfte sich wieder, aber die Leere darin blieb.
    »George, hier Richard. George, hörst du mich?«, fragte Dad.
    Mia schmiegte sich enger an mich. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihr rotes Haar war überall, die Locken verfilzt und knotig. Sie hatte sich daran gewöhnt, neben mir zu schlafen. Immerhin teilten wir uns seit 1 141 Tagen ein Bett.
    Eine Ewigkeit.
    Eigentlich hätte jeder sein eigenes Bett haben können, seit Grandpa gestorben war und Grandma sich entschieden hatte, sitzend auf dem Sofa zu schlafen, doch Mia wollte nicht mehr allein schlafen. Sie wachte zusammen mit mir auf. Wenn ich ihren warmen Körper an meinem spürte, war das Hungergefühl weniger schlimm. Ihre Wärme schien die Leere irgendwie auszufüllen. Mia war zäh, viel zäher als die meisten Kinder in ihrem Alter. Sie hatte sich in den letzten Tagen nicht einmal beschwert. Obwohl sie viel Gewicht verloren hatte – das merkte ich, wenn ich sie aufhob oder wenn sie auf meinem Schoß saß. Darüber machte ich mir mehr Sorgen als über meinen eigenen Gewichtsverlust oder den nagenden Hunger. Sie war das jüngste Familienmitglied. Ich musste sie beschützen.
    »Wie spät ist es?«, fragte ich in die Stille hinein und strich dabei über Mias Haar. Vom Bett aus konnte ich die einzige noch funktionierende Uhr nicht sehen.
    »Wen interessiert das?« Bobbys Stimme wurde durch das Kissen gedämpft, unter dem nur einige zerzauste blonde Haarsträhnen hervorspitzten.
    »Ich will es eben wissen.«
    »Warum?« Bobby hob den Kopf und sah mich an. »Hast du ein Date oder was? Wir können nicht das Geringste tun! Wir haben nicht mal was zu essen. Wir werden alle sterben.« Er vergrub den Kopf wieder im Kissen. Ich sagte nichts.
    Bobby war wieder mal schlechter Laune. Seit er vor ein paar Wochen dreizehn geworden war, wurden seine Stimmungsschwankungen immer schlimmer.
    Seit zwei Tagen hatten wir nichts mehr zu essen. Wie lange noch, bis wir zu schwach waren, um uns zu bewegen? Oder übereinander herfielen? Bei dem Gedanken hätte ich fast gelacht. Vielleicht verlor ich so langsam den Verstand.
    Essen. Ich hätte alles für einen Apfel gegeben. Oder ein Steak. Oder über dem Lagerfeuer geröstete Schoko kekse mit Marshmallowfüllung. Ich konnte sie fast schme cken – die rauchige Kekskruste, die Schokolade, die mir auf der Zunge zergeht … Der Geschmack der Vergangenheit, der Geschmack all dessen, was ich vermisste. So süß.
    Ich vertrieb diese Vorstellung aus meinen Gedanken. Mein Magen tat unerträglich weh. Meine Zunge fühlte sich an, als wäre sie mit einem pelzigen Flaum überzogen.
    »George, bitte melde dich.« Dad umklammerte fest das Mikrofon. George Smith war seit Highschoolzeiten sein bester Freund.
    »Er wird dir nicht antworten«, sagte Mom vom Sofa aus.

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