Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
auflachen hörte, wusste ich, dass die schwerwiegenden Themen abgehandelt worden waren, und kehrte zu meinen Schwestern zurück. Wir blieben sitzen und tranken, bis es zu kühl wurde. Sie redeten, ich hörte zu. Sie lachten, ich sah mir die Lichtreflexe im Wasser an. Der Mond ging auf, ich blieb federlos.
Auf dem Rückweg zu den Pferden hielt Polly plötzlich inne und sagte: „Geht schon vor. Ich komme gleich nach.“
„Zuviel Met? Musst du pinkeln?“, fragte Corazon indiskret.
„Ja“, erwiderte Polly nach einem Zögern und diese kurze Pause sagte mir, dass es nicht das war, was sie zurückhielt.
„Reitet nur voraus“, wies ich die anderen an. „Ich komme mit Polly nach.“
Ich folgte ihr durch das Dickicht. Man sah kaum die Hand vor Augen, aber meine Schwester schien den Weg blind zu kennen. Nach ein paar Minuten wurde der Wald lichter und mehr Mondlicht strömte zwischen den Baumkronen auf uns herab.
Schließlich verharrte Polly vor einer alten Linde und setzte sich schweigend auf den Boden. Gedankenverloren ließ sie ihre Handfläche über die frischen Grashalme gleiten, die auf einem kleinen Hügel zu Füßen des Baums sprossen.
„Haben sie ihn hier begraben?“, fragte ich und war verwundert, wie neutral meine Stimme klang. Ich wusste, dass ich über Matos Tod traurig war, doch es war mir unmöglich, diese Trauer irgendwo in mir zu finden. Ich rief mir die Bilder ins Gedächtnis, die sein Sterben dokumentierten, sah ihn vor mir, wie er sich vor Polly warf und mit seinem Körper die Kugeln abschirmte, die eigentlich für sie gedacht waren … aber nichts geschah. Ich war zu keiner einzigen Träne fähig.
Polly schon, wie ich bemerkte, als sie den Kopf zu mir wandte und nickte. Ich setzte mich neben sie und wischte ihr die nassen Spuren aus dem Gesicht.
„Kommst du oft hier her?“
„Immer, wenn ich in der Gegend bin … ein paar Mal pro Woche.“ Sie seufzte tief und zupfte an dem Armband, das Mato ihr gebastelt hatte und das sie seit seinem Tod nun ständig trug. „Manchmal überlege ich, was passiert wäre, wenn ich nachgegeben hätte. Ihm. Mir. Wenn wir weggegangen wären. Dann würde er noch leben.“
„Wünschst du dir, du hättest es getan?“
„Ich weiß nicht, ob ich hätte glücklich sein können. Aber immerhin wäre er nicht tot.“
Ich unterdrückte jeden Gedanken daran, welche Auswirkungen es für mich gehabt hätte, wenn Polly tatsächlich mit Mato durchgebrannt wäre. „Es ist sinnlos, darüber nachzudenken, was hätte sein können. Er hat seine Entscheidung getroffen. Er wollte dich beschützen und das hat er getan. Und wie du sagtest: Unser Platz ist hier.“
Sie nickte abwesend.
Nach einer Weile stand ich auf. „Ich reite heim. Kommst du mit?“
„Ja. Es ist schon spät und wenn Atalante merkt, dass wir nicht in unseren Betten liegen, tobt sie.“
Der Gedanke konnte mich nicht mehr beunruhigen. Mir war, als wäre ich an nichts mehr gebunden, seit ich zurückgekehrt war. Und doch hielt ich mich pflichtbewusster denn je an die Regeln. Weil es das Einfachste und ich selbst so ziel- und planlos war, dass ich bereitwillig die vorgefertigten Wege ging, die vor mir lagen.
Wenn die Frauen mich fragten, was in jener schicksalshaften Nacht denn nun genau geschehen war und wie Artemis mich entrückt hätte, reagierte ich wie auf all die anderen Fragen, die ich nicht ohne zu lügen beantworten hätte können: Ich blieb stumm. Doch mein Schweigen schien sie in ihren Vermutungen zu bestärken und heizte die Spekulationen nur weiter an. Es vergingen einige Wochen, bis sie sich eine eigene Erklärung zusammengesponnen hatten, die sie als ihre jeweilige Wahrheit akzeptieren konnten, und mich fortan damit in Ruhe ließen.
Und einige Wochen dauerte es auch, bis ich es wagte, Dante zu besuchen. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, aber irgendwann festgestellt, dass ich unbewusst stets einen großen Bogen um den Weg zu den Arbeiterquartieren machte.
Du hast vor nichts mehr Angst? hatte mein Verstand gestichelt. Dann kannst du auch zu ihm gehen.
Ich wusste ohnehin, dass Dante wütend auf mich war, aber ich wollte ihm die Gelegenheit geben, mir seine Verachtung persönlich ins Gesicht zu schleudern. Es war meine Schuld, dass er seinen Pflegesohn verloren hatte, und mir war klar, dass ich in seinen Augen unverzeihlich gehandelt und damit nicht nur Louis, sondern auch ihn enttäuscht haben musste. Da ich nicht die Nerven besaß, die Folgen meines Tuns lange in meinem Kopf hin
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