Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
sind die beiden zu Beginn der Adnotes erwähnten, von ihm begründeten und herausgegeben Kulturzeitschriften morgen und Pannonia .
Vermutlich war es die Distanz zu Wien, die ihm den klaren Blick auf die Stadt an der Donau derartig schärfte: „Diese stille Lust am Fragment, die Einsicht, dass hier auf Erden […] nichts zu vollenden sei, haben dazu beigetragen, all die unausgetragenen Konflikte unerledigt zu verewigen.“ Die Behauptung hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren. György Sebestyén wusste, dass es einen Ort gibt, an dem sich die Bewohner ihre Weltsicht bei einem Spiel zurechtrücken, „das die Wiener in Eigenregie allabendlich beim Heurigen einander und vor allem jeder sich selbst zum Besten geben.“ Wer für sich selbst spielt, um sein eigenes Bestes im eigenen Spiegel zu sehen, der braucht keine Freunde, im Gegenteil, diese könnten das lieb gewordene Bild in Frage stellen. Ein Bild, das wahrscheinlich umso lieblicher und großartiger wird, je höher der Alkoholspiegel steigt. – Bekanntlich kann man sich auch schön saufen. Im Grunde genommen ist jeder, der sich schön trinken muss, ein Einsamer oder zumindest einer, der das Gefühl der Einsamkeit gut kennt. Diese Empfindung kannte György Sebestyén sehr gut: „Dieses Gefühl ist die Gewissheit unserer eigenen menschlichen Einsamkeit: Dass wir so wie wir sind in unsere Haut eingenäht sind, isolierte Individuen sind, die sich wohl gesellschaftlich organisieren können, die wohl vorübergehend auch die Beglückung einer Liebe oder Freundschaft erfahren können, aber deren normaler Zustand es ist, allein durchs Leben zu gehen.“ Und dennoch kannte und liebte er seine Heimat, die jedoch nichts mit den nationalen Grenzen zu tun hatte, sondern ein geographischer Raum war, der von Menschen bewohnt ist, denen „das Lebensgefühl der gebrannten Kinder“ eigen ist: „Wir wissen aber, dass wir hier bleiben in diesem Donauraum, mal 300 km weiter östlich, mal 500 km westlich. Es ist unser Schicksal, da zu sein. Wir können nichts anderes, als versuchen, das Spiel der Mächtigen zu durchschauen.“ Im versuchten Durchschauen des „Spiels der Mächtigen“ steckt stets auch etwas Widerborstiges, das den nach Durchblick Suchenden zum Widerstand reizt. Milo Dor, langjähriger Freund von György Sebestyén und selbst im Donauraum eine geistige Heimat sehend, meinte mit Blick auf die Erfahrungen der Völker am Balkan mit ihren Herrschern: „Politiker sind immer die Türken.“ Er meinte damit, dass sich die Vertreter der politischen Klasse so zu verhalten wüssten, als wären sie eine Besatzungsmacht und nicht gewählte Vertreter ihres eigenen Volkes. György Sebestyén sprach von einem „Gewebe der Skepsis“, das der Denkende bräuchte, um gegen die Versprechungen die Resistenz zu entwickeln, die einem die innere Freiheit ermögliche.
IV. Zwischen Traum und Wirklichkeit
Bei aller gebotenen Vorsicht, allzu leichtfertig das schreibende Ich mit dem Ich des Schreibers zu verwechseln oder gar gleichzusetzen, sind doch in dem in Rede stehenden Roman Thennberg oder Versuch einer Heimkehr , der im Klappentext der Erstausgabe als Novelle bezeichnet wird, Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen dem Leben und den Äußerungen von György Sebestyén und dem behandelten Thema „Versuch einer Heimkehr“ unübersehbar. Die das Werk beendende Bemerkung „wenn man die Füße bewegen kann, dann geht man eben, und wozu willst du fragen, warum“ (142) und das dem Roman vorangestellte Zitat von Hölderlin „Wir sind nichts, was wir suchen ist alles“ sind exakt der Spannungsbogen, in dem sich György Sebestyén selbst befand, wie aus den ersten drei bereits erläuterten Punkten ersichtlich ist. Die Suche nach allem – nach dem Urgrund oder dem Geheimnis dahinter – schließt das „Gewebe der Skepsis“ nicht aus, im Gegenteil, soll die Suche nicht von Naivität getragen sein. Und der Satz „wenn man die Füße bewegen kann“, meint letztlich nichts anderes als „solange man die Füße bewegen kann“. Erst mit dem Tod ist die Suche beendet. Ob man fündig wurde, bleibt offen.
So offen ist aber auch der Roman Thennberg : Richard Kranz, der aus einem KZ befreite junge Jude, gelangt auf seiner Heimkehr nach Wien unversehens nach Thennberg, ein Ort, den es nur in der Erfindung von György Sebestyén gibt. Dort hat Richard Kranz – die Hauptperson des Romans – die Sommerfrische seiner Kinder- und Jugendjahreverbracht und trifft nun, nach den Erlebnissen des
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