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Theo Boone und der unsichtbare Zeuge

Theo Boone und der unsichtbare Zeuge

Titel: Theo Boone und der unsichtbare Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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öffnete sie und fing an zu lesen, als hätte er Theo plötzlich vergessen, der in strammer Haltung vor seinem Schreibtisch stand. Theo wartete verlegen.
    » Siebzehn Plätze, vordere Galerie links«, sagte der Richter nach fünfzehn Sekunden abrupt. » Ich gebe dem Gerichtsdiener Bescheid, dass er euch um zehn vor neun einweisen soll. Aber dass mir keine Klagen über euer Benehmen kommen!«
    » Ganz bestimmt nicht, Sir.«
    » Ich sorge dafür, dass Mrs. Hardy eine Mitteilung an euren Direktor schickt.«
    » Danke!«
    » Jetzt musst du aber gehen, Theo. Tut mir leid, dass ich so beschäftigt bin.«
    » Macht nichts, Sir.«
    Theo war schon unterwegs zur Tür, als der Richter ihn noch einmal ansprach: » Sag mal, Theo, hältst du Mr. Duffy für schuldig?«
    Theo blieb stehen, drehte sich um und antwortete, ohne zu zögern. » Für Mr. Duffy gilt die Unschuldsvermutung.«
    » Ist mir klar. Aber was ist deine persönliche Meinung?«
    » Ich glaube, er war es.«
    Der Richter nickte leicht, ließ sich aber nicht anmerken, ob er derselben Meinung war.
    » Was ist mit Ihnen?«, fragte Theo.
    Endlich lächelte Richter Gantry doch. » Ich bin ein fairer, unparteiischer Richter, Theo. Was Schuld oder Unschuld angeht, bin ich unvoreingenommen.«
    » Habe ich mir gedacht, dass Sie das sagen würden.«
    » Bis morgen.«
    Theo öffnete die Tür einen Spaltbreit und schlüpfte hindurch.
    Draußen hatte sich Mrs. Hardy mit strenger Miene und in die Hüften gestemmten Händen vor zwei aufgeregten Anwälten aufgebaut, die den Richter sprechen wollten. Alle drei verstummten, als Theo aus Richter Gantrys Büro kam. Im Vorübergehen lächelte er Mrs. Hardy zu.
    » Danke!« Damit öffnete er die Tür und verschwand.

Zwei
    Vom Gericht zur Schule brauchte Theo eigentlich fünfzehn Minuten– wenn er die Verkehrsregeln beachtete und sich von fremden Grundstücken fernhielt. Normalerweise tat er das auch, außer wenn er spät dran war. Jetzt raste er gegen die Fahrtrichtung durch die Market Street, fuhr direkt vor einem Auto auf den Bürgersteig und über einen Parkplatz, benutzte, wo immer möglich, die Gehwege, und flitzte in der Elm Street über ein Privatgrundstück zwischen zwei Häusern hindurch. Auf der Veranda hinter ihm ertönte wütendes Gebrüll, aber dann hatte er die Durchfahrt erreicht, die in den Lehrerparkplatz hinter seiner Schule mündete. Er sah auf die Uhr: neun Minuten. Nicht schlecht.
    Er stellte sein Rad am Ständer an der Fahnenstange ab, schloss es mit einer Kette an und schwamm im Strom der Schüler mit, die gerade mit dem Bus gekommen waren. Es war 8.40 Uhr, und die Schulglocke klingelte, als er das Klassenzimmer betrat und Mr. Mount begrüßte, der nicht nur sein Sozialkunde-, sondern auch sein Klassenlehrer war.
    » Ich habe eben mit Richter Gantry gesprochen.« Theo blieb vor Mr. Mounts Schreibtisch stehen, der deutlich kleiner war als der eben im Gericht. Im Raum herrschte das übliche morgendliche Chaos. Alle sechzehn Jungen waren versammelt und blödelten, rauften und schubsten nach Kräften.
    » Und?«
    » Ich habe die Plätze für morgen früh.«
    » Super. Gut gemacht, Theo.«
    Mr. Mount rief die Schüler zur Ordnung, verlas die Anwesenheitsliste und schickte die Jungen zehn Minuten später, nach den Bekanntmachungen, zum Spanischunterricht von Madame Monique, der in einem anderen Raum im selben Gang stattfand. Unterwegs gab es ein paar unbeholfene Flirtversuche, als sich Mädchen unter die Gruppe mischten. Während des Unterrichts blieben die Geschlechter getrennt, weil die klugen Leute, die in der Stadt für Schulpolitik zuständig waren, das so beschlossen hatten. Für die unterrichtsfreien Zeiten gab es keine Beschränkungen.
    Madame Monique war eine große, dunkle Frau aus Kamerun in Westafrika. Sie war drei Jahre zuvor nach Strattenburg gezogen, weil ihr Ehemann, der ebenfalls aus Kamerun stammte, eine Stelle am örtlichen College angenommen hatte, wo er Sprachen unterrichtete. Für eine amerikanische Middleschool war sie nicht gerade die typische Lehrerin. Als Kind in Afrika hatte sie Beti, ihren Stammesdialekt, gesprochen, aber auch Französisch und Englisch, die in Kamerun Amtssprachen waren. Ihr Vater war Arzt und hatte es sich daher leisten können, sie in der Schweiz auf ein Internat zu schicken, wo sie Deutsch und Italienisch gelernt hatte. Ihr Spanisch hatte sie bei ihrem Studium in Madrid vervollkommnet. Im Augenblick arbeitete sie an ihren Russischkenntnissen, und auch Mandarin, die

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