Theo Boone und der unsichtbare Zeuge
gebeten, uns das Szenario morgen zu skizzieren. Würdest du uns bitte den Sitzungssaal und die wichtigsten Akteure beschreiben, damit wir wissen, was uns erwartet, Theo?«
Theo hatte seinen Laptop bereits an den Beamer angeschlossen. Jetzt stellte er sich vor die Klasse und drückte eine Taste, woraufhin auf dem digitalen Breitwand-Whiteboard eine große Grafik erschien.
» Das hier ist der Hauptsitzungssaal«, begann Theo mit seiner professionellsten Juristenstimme. Er hielt einen Laserpointer in der Hand und deutete mit dem roten Punkt auf die entsprechenden Bereiche des Diagramms. » Hier oben in der Mitte befindet sich der Richtertisch, von dem aus der Richter die Verhandlung leitet. Warum das Tisch heißt, weiß ich auch nicht so recht. Eigentlich ist es eher ein Podium. Aber bleiben wir bei Tisch. Der Richter heißt Henry Gantry.« Er drückte eine Taste, und ein großes offizielles Foto von Richter Gantry wurde eingeblendet. Schwarze Robe, ernste Miene. Theo verkleinerte es und zog es zum Richtertisch. Als der Richter an seinem Platz war, fuhr er fort: » Richter Gantry ist seit über zwanzig Jahren Richter und befasst sich nur mit Strafverfahren. In seinen Verhandlungen herrscht strenge Disziplin, aber die meisten Anwälte mögen ihn.« Der Laserpointer wanderte in die Mitte des Sitzungssaals. » Hier sitzt die Verteidigung mit Mr. Duffy, der des Mordes angeklagt ist.« Theo drückte erneut eine Taste und rief ein Schwarz-Weiß-Foto auf, das er aus einer Zeitung kopiert hatte. » Das ist Mr. Duffy. Neunundvierzig, früherer Ehemann der verstorbenen Mrs. Duffy. Wie wir alle wissen, wird Mr. Duffy beschuldigt, seine Frau ermordet zu haben.« Er verkleinerte das Foto und zog es zum Tisch der Verteidigung. » Sein Anwalt ist Clifford Nance, wohl der beste Strafverteidiger in der Gegend.« Nance erschien in Farbe; er steckte in einem dunklen Anzug und lächelte verschlagen. Das graue, lockige Haar trug er lang. » Neben der Verteidigung hat die Anklage ihren Platz. Chefankläger ist Bezirksstaatsanwalt Jack Hogan.« Hogans Foto tauchte für ein paar Sekunden auf, bevor es verkleinert und zum Tisch neben dem der Verteidigung gezogen wurde.
» Wo hast du die Fotos her?«, erkundigte sich jemand.
» Die Anwaltskammer veröffentlicht jedes Jahr ein Verzeichnis aller Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter«, erwiderte Theo.
» Stehst du da auch drin?« Ein paar seiner Mitschüler lachten kurz auf.
» Nein. An den Tischen von Anklage und Verteidigung sitzen noch weitere Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Anwaltsassistenten. Da geht es normalerweise ziemlich eng zu. Hier drüben neben der Verteidigung sind die Geschworenenbänke. Die bestehen aus vierzehn Sitzen, zwölf für die Geschworenen und zwei für die Ersatzleute. In den meisten Bundesstaaten besteht die Jury nach wie vor aus zwölf Personen, aber es können auch weniger oder mehr sein. Unabhängig von der Zahl muss das Urteil einstimmig sein, zumindest bei Strafverfahren. Die Ersatzleute werden für den Fall benannt, dass einer der zwölf krank wird oder aus einem anderen Grund ausfällt. Die Geschworenen sind letzte Woche ausgewählt worden, davon bekommen wir also nichts mit. Ist auch ziemlich langweilig.« Der Laserpointer wanderte zu einem Punkt vor dem Richtertisch. » Hier sitzt die Gerichtsschreiberin an einer Maschine, einem sogenannten Stenografen. Sieht so ähnlich aus wie eine Schreibmaschine, funktioniert aber ganz anders. Ihre Aufgabe ist es, jedes Wort festzuhalten, das während der Verhandlung gesprochen wird. Das klingt unmöglich, aber bei ihr sieht es ganz einfach aus. Später erstellt sie ein sogenanntes Transkript, ein Protokoll für Verteidigung, Anklage und Richter, in dem alles aufgezeichnet ist. Manche Transkripte sind Tausende von Seiten lang.« Der Laserpointer bewegte sich erneut. » Hier, in der Nähe der Gerichtsschreiberin und praktisch unter dem Richtertisch, befindet sich der Zeugenstand. Dort nehmen die Zeugen Platz, nachdem sie vereidigt worden sind.«
» Wo sitzen wir?«
Der Laserpointer wanderte in die Mitte des Diagramms. » Das hier nennt sich › Bar ‹ . Auch so eine komische Bezeichnung. Es handelt sich um ein Holzgeländer, das die Zuschauer vom eigentlichen Verhandlungsraum trennt. Normalerweise gibt es im Zuschauerraum mehr als genug Platz, aber nicht bei diesem Prozess.« Der Laserpointer wanderte zum hinteren Teil des Sitzungssaals. » Hier oben, hinter den letzten Reihen, befindet sich die Galerie mit
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