Theo Boone - Unter Verdacht: Band 3 (Heyne fliegt) (German Edition)
ließ. Im Hintergrund lief kaum hörbar Bob Dylan.
» Wie geht’s meinem Lieblingsneffen?«, fragte Ike wie jede Woche. Theo war Ikes einziger Neffe. Zum Totlachen.
» Bestens«, erwiderte Theo. » Das mit dem Prozess war ja ein ganz schöner Reinfall.«
» Schon merkwürdig. Ich habe den ganzen Tag die Ohren offen gehalten, aber keiner scheint was zu wissen.«
Nachdem Ike seine Zulassung verloren hatte, war es mit dem ehemals angesehenen Anwalt dramatisch bergab gegangen. Als exzentrischer alter Hippie fristete er sein Dasein im Dunstkreis der Unterwelt von Strattenburg, zu der er beste Verbindungen hatte. In einem seiner Pokerklubs spielte er mit pensionierten Polizisten und Juristen, in einem anderen mit früheren Kriminellen– zu denen er selbst zählte. So saß er normalerweise direkt an der Quelle und wusste stets, ob an einem Gerücht etwas dran war.
» Was glaubst du denn, was passiert ist?«, fragte Ike.
Theo zuckte die Achseln, als wäre das gar keine Frage. » Ist doch klar, Ike. Duffy hat sich irgendwann nach Mitternacht mit dem Rad abgesetzt und ist auf einem Feldweg zu dem Treffpunkt gefahren, an dem ein Komplize mit einem Fahrzeug auf ihn gewartet hat. Das Rad haben die beiden in den Kofferraum oder, wenn es ein Pick-up war, auf die Ladefläche geworfen, und schon ging’s los.«
Theo spulte die Geschichte wie aus dem Effeff ab, als wüsste er genau, wie die Sache gelaufen war. Im Stillen bedankte er sich bei Mr. Mount.
Ikes Augen verengten sich zu Schlitzen. Mit leicht geöffnetem Mund und nachdenklich gerunzelter Stirn ließ er Theos Version Revue passieren.
» Wo hast du das gehört?«, fragte er.
» Gehört? Nirgends. Das liegt doch auf der Hand. Oder hast du eine andere Erklärung?«
Ike kratzte sich den Bart und sah Theo prüfend an. Sein Neffe war erstaunlich reif und lebensklug, aber diese allzu simple Erklärung klang wie auswendig gelernt.
Theo setzte noch eins drauf. » Die finden ihn nie. Ich wette, Pete Duffy hat alles genau geplant und ist jetzt schon über alle Berge, wahrscheinlich mit jeder Menge Bargeld und neuen Papieren.«
» Ach, tatsächlich.«
» Natürlich, Ike. Er hat einen Vorsprung von acht Stunden, und die Polizei hat keine Ahnung, nach was für einem Fahrzeug sie suchen soll.«
» Willst du was trinken?«, fragte Ike und wirbelte mit seinem Drehstuhl herum. Unter dem Sideboard hinter seinem Schreibtisch befand sich ein kleiner Kühlschrank, der normalerweise gut gefüllt war.
» Nein, danke«, sagte Theo.
Ike holte eine frische Flasche Bier heraus, öffnete sie und gönnte sich einen Schluck. Theo, der in der Kanzlei und im Gericht stets die Ohren spitzte, wusste, dass sein Onkel zu viel trank. Mehrfach hatte er Andeutungen gehört, dass Ike Boone gern zu tief ins Glas sah. Wahrscheinlich stimmte das, aber Theo hatte nie etwas davon mitbekommen. Ike war geschieden, seine Kinder und Enkel lebten weit entfernt. Theo hielt ihn für einen bedauernswerten alten Mann.
» Hast du immer noch eine Zwei in Chemie?«, fragte Ike.
» Hör doch auf, Ike. Musst du ständig auf meinen Noten herumreiten? Das tun schon meine Eltern. Außerdem ist es eine Eins minus, keine Zwei.«
» Wie geht’s deinen Eltern?«
» Gut. Meine Mutter lässt fragen, ob du mit zum Essen kommst. Wir gehen ins Robilio.«
» Das ist aber lieb von ihr.« Ike deutete unbestimmt auf das Aktenchaos auf seinem Schreibtisch. » Zu viel Arbeit.«
Eine abgedroschene Entschuldigung, die Theo fast täglich von seinen Eltern hörte.
Theo war nicht überrascht. Aus Gründen, die er nie verstehen würde, war die Beziehung zwischen seinen Eltern und Ike kompliziert. Daran konnte er nichts ändern.
» So lange dauert ein Abendessen auch wieder nicht«, gab er zu bedenken.
» Sag deiner Mutter vielen Dank von mir.«
» Geht klar.«
Theo vertraute Ike oft Sachen an, die er seinen Eltern nie erzählt hätte. Er überlegte, ob er ihm von den eigenartigen Dingen berichten sollte, die ihm zugestoßen waren, nachdem sie sich im Gericht getrennt hatten, entschied sich aber dagegen. Er konnte Ike später immer noch um seinen Rat bitten.
Stattdessen unterhielten sie sich über Baseball und Football. Nach einer halben Stunde brachen Theo und Judge auf. Das Fahrrad stand dort, wo er es abgestellt hatte, und in beiden Reifen war Luft. Mit Judge im Gefolge radelte er zur Kanzlei, wo er seine Eltern vorfand, denen er kurz die Ereignisse des Tages schilderte.
Marcella Boone kochte nicht gern und war häufig zu
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