Throne of Glass – Die Erwählte
wirklich. All die hoffnungslosen Monate, die eiskalten Nächte … Vorbei. Sie holte tief Luft. Sie konnte aus ihrem Sattel davonfliegen, wenn sie es nur mit aller Kraft versuchen würde. Das wusste sie – sie wusste es einfach. Allerdings nur, bis sie wieder die Fesseln an ihren Armen spürte.
Es war Chaol, der die Handeisen um ihre verbundenen Handgelenke schloss. Eine lange Kette führte zu seinem Pferd und verschwand dort unter den Satteltaschen. Er stieg auf seinen schwarzen Hengst und sie erwog, von ihrem Pferd zu springen und ihn mit der Kette am nächsten Baum aufzuhängen.
Es war eine recht große Reisegesellschaft, insgesamt zwanzig Personen. Hinter zwei königlichen Fahnenträgern ritten der Kronprinz und Herzog Perrington. Dann folgte ein Trupp von sechs königlichen Leibgardisten, dumpf und uninteressant wie Haferbrei. Aber dazu ausgebildet, den Prinzen zu beschützen – vor ihr zu beschützen. Sie ließ ihre Ketten gegen den Sattel rasseln und blickte kurz zu Chaol. Keine Reaktion.
Die Sonne stieg höher. Nach einer letzten Überprüfung ihrer Vorräte brachen sie auf. Da fast alle Sklaven in den Minen arbeiteten und nur einige wenige damit beschäftigt waren, in ein paar klapprigen Schuppen das Salz zu reinigen, war der riesige Haupthof beinahe verlassen. Die Mauer rückte plötzlich drohend näher und das Blut stockte Celaena in den Adern. Das letzte Mal, dass sie der Mauer so nah gewesen war …
Ein Peitschenknall ertönte, gefolgt von einem Schrei. Celaena blickte über die Schulter, an den Wachen und dem Vorratswagen vorbei in den fast leeren Hof zurück. Keiner dieser Sklaven würde diesen Ort je verlassen – nicht einmal im Tod. Jede Woche wurde hinter den Schuppen ein neues Massengrab ausgehoben. Und jede Woche füllte es sich.
Plötzlich wurde Celaena sich der drei langen Narben auf ihrem Rücken schmerzlich bewusst. Selbst wenn sie die Freiheit erlangte, selbst wenn sie in Frieden irgendwo auf dem Land lebte – diese Narben würden sie immer daran erinnern, was sie durchlitten hatte. Und daran, dass andere immer noch in Unfreiheit lebten.
Celaena blickte nach vorn und schob diese Gedanken beiseite. Sie ritten nun in den Torgang in der Mauer ein, in dem die Luft dick, fast rauchig und feucht war. Das Getrappel der Pferde hallte wie Donnergrollen. Die eisernen Torflügel wurden geöffnet und sie konnte gerade noch den unheilvollen Namen der Mine lesen, bevor er sich in zwei Hälften teilte und nach rechts und links aufschwang.Nur ein paar Herzschläge später schloss sich das Tor quietschend wieder hinter ihnen. Sie war draußen.
Celaena hob die gefesselten Hände und beobachtete, wie die Kette zwischen ihr und dem Captain der Garde rasselnd hin und her schwang. Sie war an seinem Sattel befestigt.Vielleicht könnte sie den Gurt bei einem Zwischenhalt vorsichtig lösen, nur so weit, dass der Sattel durch einen heftigen Ruck an der Kette nach unten rutschen und der Captain vom Pferd fallen würde, und dann könnte sie –
Celaena spürte Captain Westfalls Blick. Unter gesenkten Brauen, die Lippen fest zusammengepresst, starrte er sie an. Achselzuckend ließ sie die Kette los.
Im Lauf des Vormittags wurde der Himmel strahlend blau, fast wolkenlos. Sie schlugen den Weg Richtung Wald ein und kamen rasch aus dem bergigen Ödland in freundlichere Gegenden.
Am späten Vormittag erreichten sie den Oakwald Forest, das riesige Waldgebiet, das Endovier umgab und die Grenze zwischen den »zivilisierten« Ländern des Ostens und den unerforschten Gebieten im Westen bildete. Man erzählte sich immer noch Geschichten über die sonderbaren, gefährlichen Leute, die hier lebten – die grausamen, blutrünstigen Nachfahren des untergegangenen Witch Kingdom. Einmal hatte Celaena mit einer jungen Frau aus diesem verfluchten Land zu tun gehabt, und obwohl sie sich als ebenso grausam wie blutrünstig entpuppt hatte, war sie eben doch nur ein Mensch gewesen. Und hatte auch genauso geblutet.
Nach stundenlangem Schweigen wandte sie sich Chaol zu. »Es geht das Gerücht, dass der König den Westen kolonisieren will, sobald der Krieg mit Wendlyn beendet ist.« Sie sagte es beiläufig, hoffte jedoch, er würde es bestätigen oder abstreiten. Je mehr sie über die momentane Lage und die Vorhaben des Königs wusste, desto besser. Der Captain musterte sie von Kopf bis Fuß, runzelte die Stirn und wandte sich dann ab. »Ich stimme Euch zu«, sagte siemit einem lauten Seufzer. »Das Schicksal dieser leeren,
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