Throne of Glass – Die Erwählte
nicht unterwürfig.
Chaol wartete darauf, dass sie weitersprach, doch sie ließ es dabei bewenden. »Und?«, fragte er.
»Das ist alles, was ich weiß«, erwiderte sie und sah ihm in die Augen. Enttäuscht darüber, dass es nichts zu lachen gab, wandten sich die Soldaten wieder ihrem Essen zu.
Sie hatte gelogen und das war Chaol klar. Sie wusste weit mehr über diesen Wald, wusste, dass er einst von Gnomen, Elfen, Nymphen, Kobolden und unzähligen anderen Wesen bewohnt gewesen war, an die sich niemand mehr erinnern konnte. Sie alle waren von ihren größeren, menschenähnlichen Verwandten regiert worden, den unsterblichen Fae – den Ureinwohnern des Kontinents und ältesten Lebewesen in Erilea.
Mit der wachsenden Verderbtheit Adarlans und dem Aufruf des Königs, sie zu jagen und zu töten, ergriffen die Feenwesen und die Fae die Flucht, zogen sich an die letzten wilden, unberührten Orte zurück. Der König von Adarlan hatte alles für geächtet erklärt – Magie, Fae, Feenwesen – und jedwede Spur so gründlich getilgt, dass sogar diejenigen, die Magie im Blut hatten, fast glaubten, es hätte sie nie wirklich gegeben. Auch Celaena gehörte zu ihnen. Der König hatte erklärt, die Magie sei eine Beleidigung der Göttin und ihrer Götter – sie auszuüben hieße, sich deren Macht anzumaßen. Er hatte sie verboten und doch kannten die meisten die Wahrheit:Innerhalb eines Monats nach seinem Erlass war alle Magie ganz von selbst spurlos verschwunden. Vielleicht hatte sie gespürt, welche Schrecken die Zukunft bringen würde.
Celaena konnte noch die Brände riechen, die in ihrem achten und neunten Lebensjahr gewütet hatten. Berge von Büchern waren mit dem gesamten alten, unersetzlichen Wissen in Rauch und Flammen aufgegangen, begnadete Seher und Heiler waren qualvoll auf dem Scheiterhaufen gestorben, Auslagenfenster und heilige Plätze hatte man zertrümmert und entweiht und aus der Geschichte getilgt. Viele, die Magie ausgeübt hatten und nicht verbrannt worden waren, endeten als Gefangene in Endovier – und die meisten überlebten dort nicht lange. Celaena hatte schon länger nicht mehr an die Gabe gedacht, die sie verloren hatte, obwohl die Erinnerung daran sie in ihren Träumen verfolgte. Trotz des Blutbads war es vielleicht doch gut, dass die Magie verschwunden war. Für einen normalen Menschen war es viel zu gefährlich, sie auszuüben; ihre magischen Fähigkeiten hätten sie vielleicht längst ins Verderben gestürzt.
Der Rauch des Feuers brannte ihr in den Augen, als sie den nächsten Bissen in den Mund schob. Nie würde sie die Geschichten über den Oakwald Forest vergessen, die Legenden von finsteren, schaurigen Schluchten, tiefen, reglosen Teichen und Höhlen voller Licht und himmlischem Gesang. Jetzt waren es nur noch Geschichten und nichts weiter. Davon zu sprechen würde nur Ärger bringen.
Celaena betrachtete die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach schienen, die Bäume, die sich mit ihren langen, knorrigen Armen gegenseitig hielten und sich im Wind wiegten. Sie unterdrückte ein Schaudern.
Zum Glück war das Mittagessen schnell vorbei. Die Eisen wurden wieder um ihre Handgelenke geschlossen, die ausgeruhten Pferde wieder beladen. Celaenas Beine waren so steif geworden, dass Chaol ihr beim Aufsteigen helfen musste. Das Reiten bereiteteihr Schmerzen und auch der ständige Gestank nach Pferdeschweiß und Exkrementen, der bis ans Ende des Gefolges drang, war kaum auszuhalten.
Den Rest des Tages waren sie unterwegs und die Assassinin sah schweigend zu, wie der Wald an ihr vorbeizog. Ihr wurde erst wieder leichter ums Herz, als sie die funkelnde Schlucht weit hinter sich gelassen hatten. Als sie zum Übernachten haltmachten, tat ihr alles weh. Beim Abendessen verlor sie kein Wort und es war ihr egal, dass man ein kleines Zelt für sie errichtete und Wachen davor postierte. Immer noch an einen von ihnen gekettet, bekam sie die Erlaubnis zum Schlafen. Sie träumte nicht, aber als sie aufwachte, traute sie ihren Augen kaum.
Am Fuß ihres Lagers lagen kleine weiße Blumen und zahlreiche Fußabdrücke in Kindergröße führten ins Zelt hinein und hinaus. Bevor jemand hereinkam und es bemerken konnte, verwischte Celaena die Spuren mit dem Fuß, bis absolut nichts mehr zu erkennen war, und stopfte die Blumen in eine Tasche.
Obwohl auf der weiteren Reise niemand die Feenwesen noch einmal erwähnte, forschte Celaena in den Gesichtern der Soldaten nach irgendeinem Zeichen, dass sie etwas
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