Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
eine Art Hand gesehen, die aus dem Stein herausragte und Doolins Gruß erwiderte?
Die Masse schwarzer Schmetterlingsflügel stand nun hoch am Firmament. Sie verharrte dort für eine Weile, um dann Richtung Festland weiterzuziehen, Richtung Cornwall. Einige dunkle Flocken fielen vom Himmel; irgendwo, irgendwann lösten sie sich in nichts auf, nicht ohne eine Wirkung auf die Bewohner der Stadt auszuüben. Von einem Augenblick zum nächsten machte sich Angst in den Gesichtern der Menschen und Elfen breit. Selbst Nadja spürte, wie
etwas
nach ihr griff. Es zeigte ihr ein Panoptikum von Bildern, die so rasch an ihr vorüberzogen, dass sie sie kaum erfassen konnte – und dennoch wusste, dass sie an Schrecklichkeit kaum zu überbieten waren.
Der Hauch von Anspannung und Panik löste sich binnen weniger Sekunden auf. Die wenigen Wesen, die die Straßen bevölkerten, gingen gleich wieder ihrem Tagwerk nach, als wäre nichts geschehen. So als wollten sie keinesfalls darüber nachdenken, was passiert war.
»Ich bin hungrig und durstig«, sagte Nadja.
»Gehen wir ins
Merry Maidens
«, brummte Doolin in seinen zotteligen Bart. »Die Bedienung ist manchmal freundlich, manchmal nicht; aber die Speisekarte hält, was sie verspricht. Wir werden unser Glück auf die Probe stellen.« Er zog Nadja in eine Seitengasse, deren Trittsteine kupferrot eingefasst waren.
Mehrere Elfen lungerten vor einem Lokal, dessen Außenfront in bunten, fröhlichen Farbtönen gehalten war. Sie hielten die Hände vor die Münder und redeten gedämpft miteinander. Sicherlich beschäftigten sie sich mit der Situation im Rosen-Palast. Längst machten sich die Auswirkungen des »politischen Umsturzes«, wie es die Menschen ausgedrückt hätten, auch in den Dörfern und Weilern von Lyonesse bemerkbar. Das Reich war von der Außenwelt isoliert. Der Getreue, Liebhaber und treuester Anhänger der schwarzen Königin Bandorchu, verlangte immer wieder Einlass. Er klopfte, pochte, hieb und donnerte gegen die Bannmauer, die Lyonesse umgab – ungestüm und in nahezu regelmäßigen Abständen. Im Auftrag seiner Herrin drängte er danach, Alebin zu vernichten. Und er wollte Nadja für seine eigenen Bedürfnisse vereinnahmen.
Doolin betrat die Schenke. Mit seinen breiten Schultern bahnte er sich einen Weg durch die Gäste. Nadja spürte die taxierenden Blicke der Anwesenden über sich gleiten. Ihre Rolle war den Bewohnern von Lyonesse unklar. Immer wieder tauchte sie in unmittelbarer Nähe Alebins auf. Der gar nicht mehr so heimliche Herrscher des Landes behandelte sie mal wie eine Fürstin, mal wie eine Gefangene. Nur zu gerne hätte Nadja ihre Geschichte erzählt. Doch dazu hätte sie weit, weit ausholen müssen. Und im Grunde genommen war sie sich ihrer Rolle noch immer nicht klar.
»Ihr wünscht?«, fragte der bärbeißige Wirt. Seine Eckzähne ragten wie Hauer aus Unter- wie Oberkiefer.
»Einen Rosensaft für die Lady, einen Bunsenbrenner für mich.«
»Den Bunsenbrenner scharf oder ganz scharf?«
»Die Hausmischung. Und frisch gemischt, bitte schön.«
Der bucklige Doolin reichte gerade mal einige Zentimeter über die Thekenkante. Er leckte sich mit sichtlicher Vorfreude über die wulstigen Lippen, während der Wirt die Getränke vorbereitete.
Unter anderen Umständen hätte Nadja über ihren so harmlos und tollpatschig wirkenden Begleiter gelacht; doch sie wusste nur zu gut, was der Kleine draufhatte. Er war ihr Betreuer, Leibwächter und Aufpasser.
Der Wirt schob sich eine Maske übers Gesicht, schüttete einen guten Liter anthrazitfarbenen Gebräus in eine Art Holztränke und wich geschickt den hochwirbelnden Ätzwolken aus. Danach mischte er mehrere Tropfen dicksämiger Flüssigkeit dazu. Mithilfe zweier Zangen entkorkte er eine weitere Flasche und schüttete nun auch deren Inhalt ins hölzerne Gefäß, um zu guter Letzt schwarzes Pulver aus einem elfenbeinernen Horn hinzuzufügen.
»Das sieht aus wie Schwarzpulver!«, rief Nadja. Sie musste schreien, sonst wäre ihre Stimme in dem prall gefüllten Lokal untergegangen. Ein paar Sekunden lang war die Halbelfe der Mittelpunkt des Geschehens gewesen, nun aber verhielten sich die Bewohner von Lyonesse wieder so abweisend wie üblich.
»Das
ist
Schwarzpulver«, brüllte Doolin zurück, »und ich hoffe, dass es von ausreichender Qualität ist! Sonst …«
Der Bucklige ließ offen, was dieses »sonst« zu bedeuten hatte. Nadja hakte nicht nach.
»Weg da, ihr Hunde!«, brüllte der Wirt.
Die Gäste
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