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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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und ihm ein heimliches Grauen eingeflößt hatte. Der Weg über die Brücke, die den Schacht überspannte, war für ihn stets eine Qual gewesen ... wie wohl für jeden Menschen, der auch nur eine Spur Phantasie besaß.
    Doch die einzigen Geräusche, die er hörte, waren das Poltern von Stiefelabsätzen und das sanfte Schlurfen von weichen Lederschuhen auf dem dunklen, glänzend polierten Fußboden; das änderte sich auch nicht, als der Korridor plötzlich in die Halle der Winde mündete.
    Es blieb still. Vor Überraschung wäre er um ein Haar stehengeblieben, als er hochblickte und die Windsegel schlaff herunterhängen sah. Er zwang sich zum Weitergehen, folgte den Tiamatanerinnen über die Brücke und lauschte dem erstaunten Gemurmel von Vhanu und Echarthe, während sie auf dem glatten, geländerlosen Steg einherschritten, der über einen grünlich schimmernden, schwarzgähnenden Abgrund führte. Am liebsten hätte er ihnen von dem Wind erzählt, und mit welchen Schrecknissen dieser Weg früher verbunden war, doch er schwieg.
    Er entsann sich, wie er das letzte Mal in dieser Halle gestanden und verblüfft zugesehen hatte, wie Mond Dawntreader die Stürme zähmte; ob sie den Wind für immer beruhigt hatte? Wie es ihr gelungen sein mochte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, auch nicht, welche Bedeutung es für sie als Sommerkönigin hatte.
So viele Fragen ...
Krampfhaft starrte er geradeaus; er betrachtete Ariele Dawntreaders milchweißes Haar und meinte ständig Mond zu sehen. Wie oft hatte er sich ihr Wiedersehen ausgemalt ... Seit er Tiamat verließ, war kein Tag vergangen, an dem er nicht davon träumte. Aber so hatte er sich die Begegnung nicht vorgestellt. Ihm wurde klar, daß sich die Realität, das Gewöhnliche an dieser an sich absurden Situation, seiner Vorstellungskraft entzog.
    Nachdem es ihnen vorkam, als seien sie eine Ewigkeit lang über die Brücke gelaufen, erreichten sie endlich die andere Seite der Grube. Sie stiegen die dahinterliegende breite Treppe hinauf, an die er sich gern erinnerte, weil sie auf die grausige Passage folgte. Die Treppe führte zu Arienrhods Thronzimmer, dessen Teppich immer so makellos weiß war wie frischgefallener Schnee, und auf dem sich wie grellbunte Tupfer die Hofschranzen verteilten. Dort wartete die Schneekönigin auf ihre Besucher – ihre Opfer, die noch vom Gang über die Grube eingeschüchtert waren; in weiße Gewänder gehüllt saß sie auf ihrem Kristallthron, scheinbar unsterblich, die Urgewalt des Winters verkörpernd, kalt und erbarmungslos wie Eis.
    Doch es war nicht der Winter, der nun auf ihn wartete. Das Thronzimmer, das einst weiß und silbern gewesen war wie eine Gletscherspalte, hatte sich in einen Ort verwandelt, in dem alle Töne der Welt miteinander konkurrierten: frische Frühlingsfarben, alle Schattierungen von Grün, Rostrot und Ocker, warme Brauntöne, dazwischen blitzendes Blau.
    Der spiralig gewundene Kristallthron stand noch immer auf der Estrade mitten in dem riesigen Raum, in dem es plötzlich ganz still geworden war. Umringt wurde er von einem Grüppchen Menschen, die ihm gespannt entgegenblickten. Auf dem Thron saß eine Frau mit Haaren, weiß wie Schnee, und Augen wie Achaten. Doch ihr Gewand gab die Farben des Sommers wider; es bestand aus Seide, Stickereien und grobgewebtem Stoff, die Mischung wirkte aber nicht absurd, sondern völlig harmonisch. Im Haar trug sie einen schlichten Goldreif mit einem blutroten Stein: einem Karbunkel.
    Das Gesicht, in das er schaute, war gealtert, wie das seine ... dennoch war es unverkennbar ihr Gesicht, das Antlitz einer Sterblichen, das die Zeit verändert hatte. Von ihrer Schönheit war er so überwältigt, daß er den Blick abwenden mußte, aus Angst, der Schock könne ihn lähmen. Sein Herz krampfte sich zusammen.
Mond,
schrien sein Herz, sein Geist, sein Körper ... jeder Teil von ihm, doch kein Wort kam über seine Lippen.
    Tief Luft holend, betrat er das Zimmer. Der Reihe nach betrachtete er die Menschen, die neben dem Thron standen, nur um Mond nicht ansehen zu müssen. Plötzlich überkam ihn die Angst, er könne selbst nach so langer Zeit noch, und obwohl er diese Situation in Gedanken immer wieder durchgegangen war, die Fassung
verlieren
und alles verpatzen.
    Dann entdeckte er Funke Dawntreader – an seinem roten Haar erkannte er ihn sofort, obwohl er ihn erst einmal gesehen hatte; kurz nach seiner Ankunft in Karbunkel, gerade von den Inseln des Sommers angereist, war er

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