Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
können jetzt nicht auf jeden Aspekt der veränderten Situation eingehen, dazu wirft die neue Einbindung Tiamats in die Hegemonie viel zu viele Fragen auf«, fuhr er fort. »Vielleicht können wir eine Reihe von Terminen ausmachen, an denen wir uns mit unseren jeweiligen Beratern treffen. Doch wenn Sie es gestatten, möchte ich Ihnen zuerst meinen Mitarbeiterstab vorstellen.«
Sie nickte und lehnte sich zurück, wie wenn sie sich instinktiv vor irgendeiner Ansteckung fürchtete.
»NR Vhanu, Polizeikommandant für den Sektor Tiamat ...«
Er machte mit der Vorstellung weiter, lauschte, beobachtete, und versuchte, Monds Reaktionen und die ihrer Leute einzuschätzen. Währenddessen verneigte sich jeder seiner Verwaltungsfachleute kurz und sprach linkisch ein paar Worte in Tiamatanisch.
Mond gab ein paar wohlüberlegte Antworten und schaute von den sonderbar aussehenden Fremden immer wieder fort, um Gundhalinu anzusehen. Als er mit seiner Präsentation fertig war, erhob sie sich von ihrem Thron und machte ihn wiederum mit der kleinen Schar ihrer Ratgeber bekannt, die den Thron umringten. Sie stellte ihm Jerusha PalaThion als die Polizeipräsidentin vor, und die blinde Frau, Fate Ravenglas, war die Leiterin einer Institution, die sie das Sibyllencollege nannte. Es gab auch ein paar Vertreter der Bürgerschaft, sowohl Winter- wie Sommerleute – unter ihnen Tor Starhiker, die Frau, die ihn angestarrt hatte, als ob sie ihn kennen würde. Viele Berater der Sommerkönigin waren Sibyllen, darunter auch ein Mann, der aus einem Winterclan stammte.
»... und meine Familie«, sagte sie zum Schluß. »Meine Tochter kennen Sie ja bereits.« Sie lächelte kurz Ariele zu, die nervös von einem Fuß auf den anderen trat und Gundhalinu mit unsteten Blicken beobachtete.
»... mein Versprochener ...« – er bemerkte, wie sie leicht verlegen das tiamatanische Wort benutzte, und nicht den Ausdruck ›Ehemann‹, den die Außenweltler eingeführt hatten – »... Funke Dawntreader Sommer.«
Gundhalinu sah Dawntreader in die Augen, und ihm wurde bewußt, daß er es bis jetzt vermieden hatte, ihn ausgiebig zu betrachten. Dawntreader blickte teilnahmslos drein, er hatte sich unter Kontrolle.
»Ich glaube, wir sind uns schon früher einmal begegnet«, platzte Gundhalinu heraus.
»Wo?« fragte Dawntreader verblüfft.
»In einer finsteren Gasse.«
»Ich kann mich nicht an Sie erinnern«, erwiderte Dawntreader gleichgültig.
»Spielen Sie immer noch Flöte?«
Plötzlich veränderte sich Dawntreaders Gesichtsausdruck, und Gundhalinu merkte, wie ihm ein Licht aufging. Dawntreader warf Jerusha PalaThion einen Blick zu, und diese nickte. Daraufhin schnitt er eine Grimasse. »Ja«, antwortete er nach einer Weile.
»Mein Sohn spielt auch Flöte«, mischte sich Mond ein und ließ noch jemanden hinter dem Kristallthron hervortreten.
Zaudernd, fast widerstrebend, stellte sich ein junger Bursche neben sie. Es war schwer zu schätzen, ob er jünger oder älter als das Mädchen war. Gundhalinu rang um Fassung, als er das zweite halberwachsene Kind seiner Geliebten sah, die er vor so langer Zeit verlassen hatte; noch eine Erinnerung daran, daß sie einem anderen Mann angehörte, und nicht ihm.
Doch als der dunkelhaarige Knabe den Kopf hob, blieb Gundhalinu vor Verblüffung die Luft weg.
»Das ist mein Sohn Tammis«, sagte Mond. Ihre Stimme klang gepreßt, wie wenn auch sie mit Emotionen zu kämpfen hätte. Und dann begriff Gundhalinu, daß sie beide das gleiche sahen: der Knabe hatte dieselben Augen wie er! Wie konnte der Sohn eines anderen Mannes diese Augen haben ...?
»Es ist mir ein Vergnügen«, murmelte Gundhalinu; der Junge blickte unsicher und neugierig drein, wie wenn auch ihm etwas aufgefallen wäre, was er sich nicht erklären konnte. Verstohlen schielte Gundhalinu zu Funke Dawntreader hinüber; er sah, wie dessen Überraschung in Bitternis umschlug. Er dachte daran, was Mond als erstes gesagt hatte, als sie sich begegneten:
Diese Augen ... ich hatte diese Augen ganz vergessen ...
Indem er prüfend in jedes Gesicht schaute, dämmerte ihm, wie nachhaltig er vor vielen Jahren ihrer aller Leben beeinflußt hatte – in einer Weise, die sich nicht wieder rückgängig machen ließ.
1)
Giorgio de Santillana/Hertha von Dechend,
Die Mühle des Hamlet. Ein Essay über Mythos und die Struktur der Zeit,
übers. von Beate Ziegs, Berlin, Kammerer & Unverzagt: 1992, Computerkultur 8, ca. 550 S., zahlr. Abb.
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2)
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