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Tief im Herzen: Roman (German Edition)

Tief im Herzen: Roman (German Edition)

Titel: Tief im Herzen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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umdrehte. Um Cam zu entkommen, schloß er einfach die Augen und stellte sich vor, wieder in dem Haus am Wasser zu sein und ein Stöckchen für den tolpatschigen Welpen zu werfen, der auf den Namen Foolish hörte.
    Obwohl er wußte, daß der Junge wach war und seinen Blick spürte, fuhr Cam fort, ihn zu betrachten. Sieht gut aus, dachte er, mit seinem dunkelblonden Haarschopf und einem Körper, der gerade anfing, in die Höhe zu schießen. Wenn er seiner Schuhgröße entsprechend wuchs, wäre er ein Hüne, noch ehe er voll ausgewachsen war. Er hatte ein trotziges Kinn, stellte Cam fest, und einen Schmollmund. Wenn er zu schlafen vorgab, sah er so unschuldig aus wie
ein Welpe und war fast ebenso niedlich. Aber die Augen … Cam hatte diesen gewissen Funken in ihnen gesehen, dieses Mißtrauen, das an ein scheues Tier erinnerte. Er hatte diesen Blick bei sich im Spiegel gesehen. Die Farbe hatte er nicht erkennen können, aber sie waren dunkel. Dunkelblau oder braun.
    »Sollten wir den Kleinen nicht irgendwo anders hinbringen?«
    Ethan blickte zu ihm hinüber. »Ihm geht’s doch prima hier. Es ist ohnehin niemand da, bei dem wir ihn abgeben könnten. Und wenn er sich selbst überlassen bliebe, würde er bloß Ärger kriegen.«
    Cam zuckte die Achseln, sah weg und vergaß ihn. »Ich will mit Garcia sprechen. Sie müssen doch Testergebnisse vorliegen haben oder so. Er fährt wie ein Profi, also falls er einen Herzanfall oder einen Schlaganfall hatte …« Er verstummte  – der Gedanke war einfach zuviel für ihn. »Wir müssen Bescheid wissen. Hier herumzustehen, bringt uns doch nicht weiter.«
    »Wenn du etwas tun mußt«, sagte Ethan, und in seiner leisen Stimme lag eine Spur unterdrückter Wut, »dann geh und tu’s. Wichtig ist es, hier zu sein.« Er starrte seinen Bruder über die bewußtlose Gestalt im Bett hinweg an. »Nur das war immer wichtig.«
    »Ich wollte eben nicht nach Austern wühlen oder mein Leben lang in Krabbentöpfe starren«, konterte Cam. »Sie haben uns ein neues Leben geschenkt und von uns erwartet, daß wir damit anfangen, was wir wollen.«
    »Also hast du getan, was du wolltest.«
    »Das haben wir doch alle getan«, warf Phillip ein. »Ethan, wenn in den letzten Monaten mit Dad etwas nicht gestimmt hat, hättest du es uns sagen sollen.«
    »Woher zum Teufel sollte ich das wissen?« Aber er hatte etwas gewußt, hatte nur nicht den Finger darauf legen können. Das fraß jetzt an ihm, als er dasaß und den Geräten lauschte, die seinen Vater am Leben erhielten.
    »Weil du da warst«, sagte Cam zu ihm.
    »Ja, ich war da. Und du nicht, seit Jahren nicht.«
    »Und wenn ich in St. Chris geblieben wäre, dann wäre er nicht gegen einen verflixten Telefonmast geprallt? Himmel noch mal.« Cam fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Wenn du dich wenigstens hin und wieder hättest blikken lassen, dann hätte er nicht versucht, so vieles allein zu machen. Sobald ich ihm den Rücken kehrte, stand er oben auf einer blöden Leiter, schob eine Schubkarre oder strich sein Boot an. Und er hat immer noch an drei Tagen in der Woche Unterricht am College gegeben, hat den Tutor gespielt, Referate gehalten. Er ist fast siebzig, um Himmels willen.«
    »Er ist erst siebenundsechzig.« Phillip spürte, wie eine Eiseskälte in ihm hochkroch. »Und er war immer so stark wie ein ganzes Pferdegespann.«
    »In letzter Zeit eben nicht. Er hat abgenommen und wirkte müde und ausgelaugt. Du hast es doch selbst gesehen.«
    »Schon gut, schon gut.« Phillip rieb sich das Gesicht und spürte den Anflug eines Bartes. »Also hätte er vielleicht ein bißchen kürzertreten sollen. Den Kleinen bei sich aufzunehmen, war vermutlich zuviel, aber man konnte es ihm ja nicht ausreden.«
    »Immerzu streitet ihr.«
    Die Stimme, matt und schwerfällig, ließ die drei Männer ruckartig aufmerken.
    »Dad.« Ethan beugte sich als erster vor, sein Herz schlug heftig. »Ich hole den Arzt.«
    »Nein. Bleib hier«, murmelte Ray, bevor Phillip aus dem Zimmer stürzen konnte. Es war eine mörderische Kraftanstrengung, diese wenn auch kurze Rückkehr. Und Ray wußte, daß ihm nur noch wenige Augenblicke blieben. Sein Verstand und sein Körper schienen bereits voneinander getrennt zu sein, obgleich er fremde Hände auf seinen Händen spüren konnte, die Stimmen seiner Söhne hörte, ihre Angst und ihren Zorn.
    Er war müde, o Gott, so müde. Und er wollte zu Stella. Doch ehe er ging, hatte er noch eine letzte Pflicht zu

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