Tiefes Land
jede Untersuchung, damit …«
»Warum halten Sie nicht einfach mal für ein paar Augenblicke die Luft an und lassen mich in Ruhe Auto fahren? Ich werde alles Nötige vor Ort erfahren. Falls es Ihnen wichtig ist, dürfen Sie Ihre Merkzettel gerne für sich ein weiteres Mal durchgehen. Solange Sie dabei still sind. Ich für meinen Teil möchte die Fahrt genießen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Bis Amsterdam sind es noch gut fünfundvierzig Minuten. Das sollte Ihnen eigentlich ausreichend Zeit geben, oder?«
Tessa Boyens ignorierte die Frage des Agenten, ganz so, als ob sie überhaupt nicht ausgesprochen worden war, sagte aber fortan kein einziges Wort mehr. Wütend presste sie die Lippen zusammen. Die rüpelhafte Art, mit der er soeben mit ihr umgegangen war, bestätigte den Eindruck, den sie von der ersten Sekunde an über ihren neuen Einsatzleiter gewonnen hatte. Und sie täuschte sich selten da, wo sich ihre Menschenkenntnis meldete. In ihren Augen war der Mann hinter dem Steuer ein selbstgefälliges und arrogantes Arschloch.
Tessa beschloss, sich für die nächste Zeit zunächst einmal bedeckt zu halten. Sie hatte es nicht nötig, sich so behandeln zu lassen. Wenn Van den Dragt meinte, er müsse das alleine durchziehen, bitte schön. Sollte er bei seiner ersten Untersuchung Mist bauen, dann konnte sie jegliche Verantwortung für einen Misserfolg von sich weisen. Und letztendlich würde sein Versagen genau das bestätigen, was die Personalabteilung des Ministeriums seit langem zu ignorieren versuchte – das eine Frau sehr wohl als Teamleiterin geeignet war.
Willem konzentrierte sich auf den stetig ansteigenden Berufsverkehr auf der A4 und hing seinen eigenen Gedanken nach. Er hoffte inständig, dass sie nicht in einen Stau fuhren. Wahrscheinlich ebenso eindringlich wie Tessa Boyens. Willem wollte so wenig Zeit wie möglich untätig auf der Autobahn verbringen und dabei auch noch eine schmollende Beifahrerin neben sich ertragen müssen.
Normalerweise gab er sich deutlich mehr Mühe mit den Vertretern des weiblichen Geschlechts, besonders wenn diese einen gewissen Grad an Attraktivität aufwiesen. Seine neue Kollegin war jedenfalls alles andere als unscheinbar. Dazu verfügte ihre Stimme über einen natürlich angenehmen und anschmiegsamen Klang, der so gar nicht zu ihrem strengen Aussehen und ihrer überkorrekten Art passen wollte. Das änderte allerdings nichts daran, dass er Aufpasser nun mal nicht leiden konnte. Selbst wenn sie hübsch waren. Willem versuchte, den neu aufgekommenen Ärger herunterzuschlucken. Henk hatte ihm da ordentlich was eingebrockt und er durfte jetzt die schale Suppe auslöffeln.
Sie erreichten das Labor der Tifor Pharmaceuticals um elf Uhr. Sicherheitsabsperrungen umzäunten das Gelände und die Abteilung der Spurensicherung sondierte seit einiger Zeit den Tatort, auf der Suche nach Hinweisen zu den Tätern. Rechts vor dem Gebäude, in der Nähe eines großen Einsatzwagens des AIVDs, ließen die Mitarbeiter des Labors die notwendige Befragung über sich ergehen, während direkt daneben eine kleine Gruppe gutgekleideter Männer und Frauen aufgebracht mit einem sichtlich überforderten Agenten diskutierten. Willem ging hinüber, ohne darauf zu warten, ob Tessa ihm folgte, und unterbrach die hitzige Debatte.
»Sind Sie Agent Roek?«
Der angesprochene Agent drehte sich mit hochgezogener Augenbraue zu Willem um. Der schmale Mittdreißiger, dessen schwarze Kurzhaarfrisur mit Gel in eine flüchtig aufstrebende Richtung gebracht worden waren, ließ ein sparsames Lächeln aufblitzen, während er Willem die Hand entgegen hielt.
»Nur wenn Sie der Mann sind, auf den ich schon seit einer geschlagenen Stunde warte.«
»Wir sind etwas im Berufsverkehr stecken geblieben. Agentin Boyens dürften sie ja kennen, nehme ich an.« Willem deutete auf seine Begleitung, die soeben hinzutrat. »Sie wird mir bei den Ermittlungen assistieren.«
Tessa nickte bestätigend. »Hallo, Roek.«
»Dann sind Sie van den Dragt, der neue Einsatzleiter?«
»Willem van den Dragt. Wir hatten vorhin miteinander telefoniert.«
»Wunderbar. Vielleicht können Sie den Herrschaften verständlich machen, warum wir hier sind. Auf mich wollen Sie offensichtlich nicht hören.«
Ein beleibter Mann im Anzug, dessen füllige Statur und die feisten Gesichtszüge von einem betuchten Lebenswandel zeugten, drängte sich umgehend nach vorne und sprach Willem direkt an.
»Ich verlange unverzüglich zu erfahren, wie lange dieser
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