Tiefes Land
ausgemacht zu haben. Einen Moment lang war er versucht, einfach hinüberzugehen und den Fahrer für seine rüde Fahrweise zurecht zu weisen. Doch dann entschied er sich dagegen. Er hatte Wichtigeres zu tun, als jetzt wildfremden Menschen die Leviten zu lesen, nur weil sie ihren Führerschein offensichtlich auf dem Rummel gewonnen hatten. Die Präsentation wartete. Er eilte die letzten Meter bis zum Eingang hinüber, öffnete die imposante, gläserne Sicherheitstür und betrat das Gebäude.
Gut fünf Minuten später, in denen er seine Schuhe so sorgfältig wie möglich von Wasser und Schmutz befreit hatte, saß Dr. Tomer endlich hinter seinem eigenen Schreibtisch. Er sortierte ein letztes Mal seine Unterlagen für die Vorführung, bevor er zum großen Besprechungsraum gehen und dort alles für den Besuch der Geschäftsführung herrichten wollte.
Ein kratzendes Geräusch im Flur, durch die offene Bürotür deutlich zu vernehmen, ließ ihn aufschauen. Es hatte geklungen, als ob jemand beim Gehen mit seiner Jacke unabsichtlich am Putz der Wand entlang geschliffen war.
»Saskia, sind Sie das? Wenn Sie schon da sind, könnten Sie freundlicherweise eine Kanne Tee für uns aufsetzen?«
Niemand antwortete.
Dr. Tomer teilte sich das Büro mit Saskia Veden, einer Kollegin, die erst seit Anfang des Jahres mit ihm zusammenarbeitete. Für gewöhnlich gehörte sie eher zu den Spätaufstehern. Sie so früh im Labor zu sehen, wäre ungewöhnlich. Aber vielleicht war ja heute die Ausnahme von der berühmten Regel.
»Saskia?«
Immer noch keine Reaktion. Warum kam sie denn nicht herein oder antwortete wenigstens auf seine Rufe? Dr. Tomer stand auf, ging zur Tür und blickte hinaus. Ein Schatten raste auf ihn zu und der nachfolgende Schmerz, den der Pistolengriff des maskierten Mannes in seinem Gesicht auslöste, ließ ihn benommen zurücktaumeln. Ein Schwall warmen Blutes lief ihm aus der eingedrückten Nase und über das Kinn hinab. Grob packte ihn eine Hand am Ärmel und zog ihn aus dem Raum.
»Mitkommen!«
Der Befehl des Mannes duldete keinen Widerspruch. Selbst wenn Dr. Tomer just in diesem Moment dazu in der Lage gewesen wäre, hätte er dem Fremden dennoch gehorcht. Das war nicht die Situation, den Helden zu spielen. Mühsam versuchte er mit den Fingern das tropfende Blut aufzuhalten, während er den Flur in Richtung Aufzug gezerrt wurde. Dort warteten drei weitere Männer, die Gesichter gleichfalls wie Dr. Tomers Entführer mit Skimasken bedeckt. Durch schmerz- und tränenverschleierte Augen erkannte er, dass alle in nachtschwarzen Overalls gekleidet waren, jeder mit gefährlich aussehenden automatischen Waffen in der Hand. Langsam sickerte die Erkenntnis in seinen Verstand, der sich eben noch mit theoretischen Formeln und statistischen Werten beschäftigt hatte. Diese Männer waren Verbrecher.
Obwohl Todesangst seinen Knien beinahe jegliche Festigkeit raubte, rang er sich zu einer erstickten Frage durch. Vielleicht würden sie ihn verschonen, wenn er sich kooperativ zeigte. Und vielleicht fügten sie ihm auch keine weiteren Schmerzen zu. Vielleicht.
»Was wollen Sie?«
»Maul halten«, kam der knappe Befehl zurück. Offensichtlich waren die Männer nicht zu einem Gespräch aufgelegt. Mit einem Ping öffnete sich die Aufzugtür vor ihnen. Dr. Tomer wurde hineingestoßen und die vier Bewaffneten folgten ihm.
Einer von ihnen, derjenige, der ihn aus seinem Büro gezerrt hatte, drückte zielsicher die Taste für das Untergeschoss.
Sie wollen in den abgesperrten Sicherheitsbereich, erkannte Dr. Tomer erschrocken. Dorthin, wo die Bakterienproben gelagert wurden, bis einer der Mitarbeiter sie für einen der unzähligen Tests und wissenschaftlichen Untersuchungen benötigte. Wenn etwas davon für kriminelle Zwecke missbraucht wurde ... Der Wissenschaftler schaffte es nicht, den Gedanken zu Ende zu bringen.
Als der Aufzug einige Momente später seine Fahrt nach unten beendet hatte und den Blick auf den Flur zum Sicherheitsbereich freigab, war Dr. Tomer der Verzweiflung nahe. Ihm fiel einfach kein geeigneter Weg ein, wie er die Katastrophe verhindern konnte, die sich vor seinen Augen anbahnte.
»Aufmachen!«
Rüde wurde Dr. Tomer gegen das Terminal gestoßen, das den Zugang zum Sicherheitsbereich absperrte. Trotzdem wagte er einen halbherzigen Versuch, sich zu weigern.
»Nein, das können Sie nicht von mir verlangen.«
Einer der Gangster hob ohne zu zögern die Maschinenpistole und ließ sie mit Wucht auf seine Schulter
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