Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
öffnet der Himmel seine Schleusen und mit aller Gewalt prasselt der Regen auf uns herab. Nicht etwa ein feiner, netter Sommerregen, wie ich ihn aus Wien kenne, sondern ein undurchdringlicher Wasserschwall, der in Sekundenschnelle alles und jeden durchnässt. Ein Regen nach dem Motto: »Schau, eine Regenwolke«. Und schon sieht man aus, als eben erst dem Wasser entstiegen. Ob das wieder einmal die Auswirkungen von El Niño sind, von dem ich schon so viel gelesen habe? Egal, nass werde ich über kurz oder lang sowieso. Und unser Tauchgang in dieser kleinen Stahlkapsel, die man getrost zu den technischen Legenden unserer Zeit zählen darf, steht uns in Kürze bevor. Das hat mir zu meinem Glück gerade noch gefehlt, aber schließlich habe ich es ja selbst so gewollt.
Bereits kurz nach dem Ablegen aus Apra Harbor, dem natürlichen Hafen von Guam, war mir schlecht geworden. Das stampfende Boot schien jede Welle in diesem bescheuerten Pazifik erwischen zu wollen. Anfangs konnte ich wenigstens noch meine Augen hartnäckig auf die Steilküste richten, die Guam so eindrucksvoll aus dem Wasser zu drücken scheint. Schon nach kurzer Zeit habe ich aber die Gischt-fontänen der Sandstein-Blowholes aus den Augen verloren. Muss eigentlich ein lustiges Erlebnis sein, sich dort draufzusetzen. Pepe, der schalkäugige Koch der R/V Atlantis, dürfte dieses Vergnügen bereits gehabt haben, so zumindest sein Kommentar kurz nach dem Ablegen. Vielleicht war aber auch nur der Wunsch Vater des Gedankens.
Mein Blick ruht weiter konzentriert auf der Küstenlinie – nur nicht aufs offene Meer schauen. Nach rund einer Stunde Fahrt, in der wir mit einer Höchstgeschwindigkeit von 11 Knoten durch die Wogen gepflügt sind, kann ich gerade noch die Spitze des grün bewaldeten Mount Lamlam in der Mitte der Insel erkennen. Ohne einen Fixpunkt werde ich bald keine andere Wahl mehr haben, als mich meiner Seekrankheit hinzugeben. Rund um mich haben sich bereits einige Wissenschaftler der WHOI versammelt, die Neptun, dem Gott der Meere, ihren Tribut zollen. Grün im Gesicht hängen sie erschöpft über der Reling. Alles Memmen, diese Meeresforscher.
Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, hat es auch mich erwischt. Als der letzte Punkt im Nebel der Gischtfontänen verschwindet bleibt mir keine andere Wahl. Gemeinsam mit John, einen Mittfünfziger mit schütterem grauen Haar und einem mehr als blassen Teint, betrachte ich intensiv die dunkelblaue Steuerbordseite des beeindruckenden Forschungsbootes. Normalerweise arbeitet John als Universitätslektor an der Universität von Massachusetts in den USA und ist nun zum ersten Mal überhaupt auf einem Schiff. Und dann auch noch gleich in den bekannt unruhigen Gewässern des Pazifiks. Meeresforscher sein hätte ich mir auch einfacher vorgestellt.
In kollegialem Opferritual hängen wir die nächsten Stunden unserer Reise über der Reling, nicht wissend ob wir leben oder einfach nur sterben wollen, und geben unseren Tribut an Neptun, den mythischen Gott der Meere. Seekrankheit ist einfach zum Kotzen.
Eine einsame Möwe zieht gemächlich ihre Bahnen über unserem Boot und lacht mich aus. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein und sie trachtet nach einer Möglichkeit, Futter zu ergattern. Meine blutunterlaufenen Augen beobachten sie argwöhnisch. Mir war noch nie so schlecht, wie hier auf diesem imposanten Stahlschiff. Über 83 stattliche Meter, dunkelblauer Rumpf und leuchtend weiße Aufbauten – ein wahrlich imposantes Stück Technik, das die Woods Hole Oceanographic Institution hier seit nunmehr fast 20 Jahren über die Ozeane unserer Welt schippern lässt.
Noch beeindruckender ist aber die kleine Stahlkapsel, die hinter mir auf dem Achterdeck ruht, und die mich gemeinsam mit Marcus in ein paar Stunden in die Tiefe bringen soll. Eine Tauchfahrt mit dem berühmtesten Tauchboot der Welt steht in Kürze auf dem Programm – schon beim Gedanken daran wird mir wieder schlecht. Was habe ich nur verbrochen, dass ich mich auf diese Reise eingelassen habe – so spannend sie auch sein möge. Wieso muss ich mir das in meinem Alter noch antun? Eigentlich könnte ich jetzt in einer der vielen Bars in Guam gemütlich ein Bierchen trinken, vielleicht sogar in der Marianas Trench Bar. Aber nein, ich wollte ja unbedingt zum Marianengraben fahren. Und zwar tatsächlich mit allem Drum und Dran – inklusive Tauchfahrt im Bereich der tiefsten Stelle der Weltmeere. Ach ja, der Marianengraben – eine für uns
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