Tiefsee
auf sie zu und ergriff ihren Arm. »Miß Wallace«, begrüßte er sie mit freundlichem Lächeln, »es ist schön, daß Sie sich bei uns wohlfühlen.«
»Das Schlimmste habe ich überstanden.«
»Ich muß zugeben, ich begann schon, mir Sorgen zu machen.
Daß Sie fünf Tage lang Ihre Kabine nicht verlassen haben, ließ mich schon das Schlimmste befürchten. Da wir keinen Arzt an Bord haben, hätten wir uns in einer unangenehmen Lage befunden, wenn Sie dringend ärztliche Behandlung gebraucht hätten.«
»Ich danke Ihnen«, sagte sie leise.
Er sah sie erstaunt an. »Sie danken mir, wofür?«
»Für Ihre Fürsorge.« Sie drückte sanft seinen Arm. »Es ist lange her, seit sich jemand meinetwegen Sorgen gemacht hat.«
Er nickte und zwinkerte ihr zu. »Dafür sind Schiffskapitäne ja da.« Dann wandte er sich an die anderen Offiziere. »Meine Herren, darf ich Ihnen Miß Estelle Wallace vorstellen, die uns mit ihrer entzückenden Anwesenheit beehrt, bis wir in Auckland anlegen.«
Sie wurde jedem der Reihe nach vorgestellt. Die Tatsache, daß die meisten der Männer mit Nummern bezeichnet wurden, belustigte sie: Der Erste Offizier, der Zweite Offizier, sogar ein Vierter war an Bord. Alle schüttelten ihr die Hand, als bestünde sie aus zartem Porzellan, alle außer dem Schiffsingenieur, einem kleinen, breitschultrigen Mann mit einem slawischen Akzent. Er verbeugte sich steif und küßte ihre Fingerspitzen.
Der Erste Offizier winkte dem Messeboy, der hinter einer kleinen Mahagonibar stand. »Miß Wallace, was würden Sie gerne trinken?«
»Könnte ich einen Daiquiri bekommen? Ich habe Lust auf etwas Süßes.«.
»Selbstverständlich«, antwortete der Erste Offizier. »Die
San Marino
ist vielleicht kein Luxus-Kreuzfahrtschiff, aber wir haben die beste Cocktailbar auf dieser Breite im Pazifik.«
»Seien Sie ehrlich«, ermahnte ihn der Kapitän gutmütig. »Sie haben nicht erwähnt, daß wir wahrscheinlich das einzige Schiff in diesen Breitengraden sind.«
»Ein unwesentlicher Umstand.« Der Erste Offizier zuckte mit den Achseln. »Lee, einen deiner berühmten Daiquiris für die junge Dame.«
Estelle sah interessiert zu, wie der Messeboy fachmännisch die Limone ausdrückte und die Bestandteile zusammenmixte. Jede Bewegung erfolgte mit elegantem Schwung. Der schäumende Drink schmeckte gut, und sie mußte ihr Verlangen bremsen, ihn in einem Zug zu leeren.
»Lee«, sagte sie, »du bist ein Wunderknabe.«
»Das ist er wirklich«, stimmte Masters zu. »Es war ein Glück, daß wir ihn angeheuert haben.«
Estelle trank noch einen Schluck. »Sie scheinen etliche Asiaten in Ihrer Mannschaft zu haben.«
»Ersatzleute«, erklärte Masters. »Zehn Mann von der Besatzung sind abgehauen, nachdem wir in San Francisco angelegt hatten. Zum Glück schickte uns die Arbeitsvermittlung Lee und seine neun koreanischen Kameraden vor unserer Weiterfahrt.«
»Alles verdammt merkwürdig, wenn Sie mich fragen«, brummte der Zweite Offizier.
Masters zuckte die Schultern. »Daß Besatzungsmitglieder in einem Hafen abspringen, kam schon vor, als der erste Cromagnon sein erstes Floß zusammenbastelte. Daran ist gar nichts merkwürdig.«
Der Zweite Offizier schüttelte zweifelnd den Kopf. »Einer oder zwei vielleicht, aber nicht zehn. Die
San Marino
ist ein seetüchtiges Schiff, und der Kapitän ist fair. Es gab keinen Grund für solch einen Massenexodus.«
»So ist es eben auf See«, seufzte Masters. »Die Koreaner sind ordentliche, schwer arbeitende Seeleute. Ich würde sie nicht für die halbe Fracht in unseren Laderäumen hergeben.«
»Das ist ein ziemlich hoher Preis«, murmelte der Schiffsingenieur.
»Ist es ungehörig«, fragte Estelle, »wenn ich mich erkundige, was für Ladung Sie befördern?«
»Keineswegs«, antwortete der sehr junge Vierte Offizier eifrig. »In San Francisco wurden unsere Frachträume mit…«
»Titanbarren vollgeladen«, unterbrach ihn Kapitän Masters.
»Sie sind acht Millionen Dollar wert«, fügte der Erste Offizier mit einem strengen Blick auf den Vierten hinzu.
»Noch einmal dasselbe, bitte«, bestellte Estelle und reichte dem Messeboy ihr leeres Glas.
Dann wandte sie sich wieder an Masters. »Ich habe von Titan gehört, habe aber keine Ahnung, wofür es verwendet wird.«
»Wenn man es ordnungsgemäß in reiner Form verarbeitet, wird Titan haltbarer und leichter als Stahl, ein Vorteil, der es bei den Herstellern von Düsenflugzeugen sehr begehrt macht. Es wird außerdem für die Erzeugung von
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