Tiffany Duo Band 0162
erwischt!
Auch wenn er es nur höchst ungern tat, musste er doch zugeben, dass Matt recht gehabt hatte. Nach dem gestrigen Abendessen auf der Ranch war sein allwissender Bruder mit ihm nach draußen gegangen – angeblich, um mit einer seiner neuen Stuten zu prahlen, aber wie sich bald herausstellte, war es nur ein Vorwand gewesen.
Und dann hatte es nicht lange gedauert, bis Matt angefangen hatte, ihm die Leviten zu lesen, und ihn gefragt hatte, was zum Teufel ihm einfiele, mit so einer netten Frau wie Sarah McKenzie anzubandeln.
Bevor er dazu gekommen war, auf den verletzenden Ton seines Bruders eingeschnappt zu reagieren, hatte Matt ihm einen durchdringenden Blick zugeworfen und Jesse schließlich mit der niederschmetternden Wahrheit konfrontiert.
Jesse James Harte, der Bad Boy von Salt River, Wyoming, war unsterblich in eine süße schüchterne Lehrerin verliebt.
In diesem Moment hätte er seinem Bruder am liebsten einen Kinnhaken verpasst. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Natürlich machte er sich etwas aus ihr. Er wollte, dass sie sicher war, und er freute sich, wenn es ihm gelang, ihr ein Lächeln zu entlocken – darüber hinaus fühlte er sich natürlich von ihrer sanften, ruhigen Schönheit angezogen. Aber er konnte sich unmöglich in sie verliebt haben.
Doch im Laufe des Tages, der sich wie Kaugummi in die Länge gezogen hatte, war ihm zu seinem Verdruss immer klarer geworden, dass Matt recht hatte. Und dass sein älterer Bruder seine Gefühle für Sarah früher erkannt hatte als er selbst, brannte schlimmer in seinen Eingeweiden als Cassies Chili.
Allein, wie hätte er diese Gefühle auch erkennen sollen, wenn ihm jeder Vergleichsmaßstab fehlte? Er war schließlich vorher noch nie verliebt gewesen. Nicht einmal leicht.
Gut, er hatte schon immer das dumpfe Gefühl gehabt, dass ihm irgendetwas fehlte, dass es da einen leeren kalten Platz in ihm gab, wo zusammen mit seinen Eltern etwas gestorben sein musste. Oder vielleicht war es in diesen wilden Jahren danach ja auch nur verdorrt.
Aber jetzt, nachdem ihn die Wahrheit wie der sprichwörtliche Blitz getroffen hatte, konnte Jesse es nicht mehr ableugnen. Er liebte Sarah McKenzie. Und er hatte das Gefühl, dass er seit dem Tag ihrer Ankunft in Salt River auf dem Weg dorthin gewesen war.
Er liebte sie. Und was zum Teufel sollte er dagegen unternehmen?
Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er nicht ausschließlich daran, wie er es sich möglichst gutgehen lassen könnte. Er dachte so Sachen wie bis ans Lebensende glücklich miteinander leben oder so was Ähnliches … ein Happy End. An Ehe, Kinder, die ganze Litanei rauf und runter eben.
Und versuchte die leise hämische Stimme zu überhören, die er offenbar nicht zum Schweigen bringen konnte, die Stimme, die ihn daran erinnerte, dass ein Mann wie er eine Frau, die so gut und anständig war wie Sarah, nicht einmal annähernd verdiente.
Jesse umklammerte das Lenkrad ein bisschen fester, den Blick stur geradeaus auf die Straße vor sich gerichtet. Daran wollte er jetzt nicht denken. An seine Vergangenheit und die Dinge, die er getan hatte. Er wollte nicht, dass sie mit diesen Sachen irgendwie in Berührung kam.
Ein paar Häuserblocks von der Schule entfernt überholte ihn ein klappriger, rostzerfressener Pick-up. Jesse kannte den Wagen nicht und konnte durch den Regen auch nicht viel von dem Fahrer sehen, aber er winkte trotzdem. Das hier war Salt River. Es wäre unhöflich gewesen, es nicht zu tun.
Wenige Augenblicke später fuhr er auf den Parkplatz vor der Schule und registrierte erfreut, dass Sarahs salbeigrüner Toyota noch auf dem fast leeren Parkplatz stand. Gut so. Es sah ganz danach aus, als hätte er den richtigen Riecher gehabt, indem er hierher zur Schule und nicht zu ihr nach Hause gefahren war. Obwohl der Unterricht schon seit Stunden aus war, arbeitete Sarah immer noch.
Es machte ihm nichts aus, zu warten. Auf diese Weise hatte er wenigstens Zeit, ein bisschen Licht in sein Gefühlschaos zu bringen.
Er wollte gerade in die Parklücke neben ihrem Auto fahren, als sein Scheinwerfer auf etwas fiel, das in einer kleinen Pfütze ein paar Meter weiter weg lag. Da hatte wohl ein Kind in seiner Eile, den Bus noch zu erwischen, seinen Rucksack verloren. Er sollte ihn aufheben, bevor ihn der Regen restlos ruinieren konnte.
Bei laufendem Motor stieg Jesse aus, um das Ding zu holen. Es war kein Rucksack, wie er gleich darauf sah. Er bückte sich und streckte die Hand danach aus, dann
Weitere Kostenlose Bücher