Tiffany Duo Band 0162
hielt er mitten in der Bewegung inne, weil er den geblümten Gobelinstoff erkannte.
Er hatte heute Morgen gesehen, dass Sarah mit genau dieser Tasche das Haus verlassen hatte.
Als ihm das klar wurde, spürte er, wie ihm ein eisiger Schreck in die Glieder fuhr. Irgendetwas war hier faul. Oberfaul. Sie war in Lebensgefahr, sie brauchte ihn! Und dieses Mal durfte er – anders als bei seinen Eltern – unter gar keinen Umständen wieder versagen.
“So, da wären wir. Endstation, Frau Lehrerin.”
Sarah versuchte, die Stimme nicht zu hören. Sie war an einem warmen sicheren Platz, wo niemand sie erreichte – wo ihr niemand Angst machen konnte – und sie durfte nicht zulassen, dass irgendwer sie durcheinanderbrachte.
Sie atmete tief durch und schob das ganze Gewicht ihrer Psyche gegen die Tür, um sie zu verrammeln und die Welt draußen fernzuhalten. Wenn sie sich nur genug Mühe gab, konnte sie diese Tür fest geschlossen halten und hier in dieser schönen sicheren Leere bleiben.
“Los jetzt, aussteigen. Ich habe nicht ewig Zeit.” Irgendwer von außerhalb packte sie am Arm und riss sie aus ihrer Zuflucht.
Bei ihrer abrupten Landung auf der Erde schwankte sie ein bisschen.
“Los, komm”, wiederholte Coreys Vater grob.
Er packte sie am Arm und begann sie auf einen schattenhaften Umriss zwischen den Bäumen zuzuziehen. Gleich darauf erkannte Sarah, dass es sich um einen heruntergekommenen Wohnwagen handelte, von dessen Karosserie der Lack so stark abgeblättert war, dass man nicht mehr erkennen konnte, was für eine Farbe er einst gehabt hatte.
Nein, da stimmte etwas nicht. Sie sollte doch jetzt eigentlich in ihrem kleinen Haus bei Jesse sein, nicht vor irgendeiner Rostlaube im Nirgendwo.
“Ich will nach Hause”, murmelte sie.
“Klappe”, fuhr er sie an. Die Holztreppe, die er sie hinaufstieß, war vom Regen nass und glitschig, und sie stolperte über ein loses Brett. Sie streckte instinktiv die Hand nach dem verrotteten Geländer aus und schnappte erschrocken nach Luft, als sich ein Splitter in ihre Haut bohrte.
Der scharfe Schmerz brachte ihr ihre verzweifelte Situation zu Bewusstsein. Sie war auf einem einsamen Berghang, in der Gewalt eines Mannes, der im besten Fall schwer betrunken, im schlimmsten komplett verrückt war. Selbst wenn Jesse es wie durch ein Wunder schaffte, herauszufinden, wo sie war, konnte es noch Stunden dauern, bis er hier war.
Sie würde sich selbst helfen müssen.
Allein der Gedanke bewirkte, dass sie schnell wieder an den sicheren Platz in ihrem Kopf floh.
Die morsche Tür des Wohnwagens war nicht verschlossen, und Sylvester schob sie ins Innere. War es wirklich möglich, dass dies sein Zuhause war? Es war kaum besser als die Pappkartons, in denen die Obdachlosen in Chicago ihre Nächte verbrachten.
Irgendwann hatte offenbar irgendwer einmal versucht, den Wohnwagen ein bisschen wohnlicher zu machen, aber die Tapeten waren mit Wasserflecken übersät und die Vorhänge, die wahrscheinlich einst weiß gewesen waren, starrten vor Schmutz und waren von Motten zerfressen.
Dann landete Sarahs Blick auf einem vertrauten Gegenstand. Wie es schien, hatte sie soeben das Geheimnis der aus der Schule verschwundenen Münzen gelöst. Das zertrümmerte Glas lag inmitten von dicken Glasscherben und Geldstücken in einer Ecke.
Also hatte Chuck Hendricks womöglich doch recht damit gehabt, dass Corey in den Diebstahl verwickelt war. Oder zumindest sein Vater.
Sie hatte keine Zeit, lange Vermutungen darüber anzustellen. Sylvester stieß sie zu einer blaugoldenen Couch, aus der an vielen Stellen der Polsterung die Füllung herausquoll.
Noch immer mit der Pistole in der Hand, mit der er sie gezwungen hatte, in seinen Pick-up einzusteigen, angelte er sich jetzt eine der Schnapsflaschen auf dem Tresen, die schon zur Hälfte geleert war, und ging damit zu dem zweiten Möbelstück im Raum, einem alten Sessel mit demselben scheußlichen Bezug.
Anschließend trank er eine ganze Weile nur und brummte irgendwelches unverständliche Zeug über Seth und Ginny und Corey in sich hinein. Sarah verstand nur so viel, dass Seth für das, was er ihm angetan hatte, bezahlen würde.
Der Mann wollte sich offensichtlich rächen. Doch was hatte sie damit zu tun? Obwohl sie es nicht wirklich wissen wollte, nahm sie an, dass ihre Überlebenschancen mit dem Grad ihrer Informiertheit stiegen.
Sie dachte an Jesse und das Wochenende, das sie zusammen verbracht hatten, an die Farben und die Wärme, die er in
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