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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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muss es auf den Platz
     gehen, wo gestern die Orgie war‹, dachte er und ihm fiel wieder ein, warum Igor ihn hier hereingestoßen hatte … Auf der anderen
     Seite des Beckens entdeckte Jonas eine schwarze Gestalt, die in einer Ecke kauerte, den Kopf auf die Knie gelegt und die Arme
     um die Beine geschlungen. Jonas ging um das Becken herum und blieb ein Stück entfernt von ihr stehen. »Hallo Vera«, sagte
     er leise.
    Langsam hob sie den Kopf. Ihre Augen waren rot geschwollen, das Gesicht verschmiert von schwarzer Schminke und grünem Lippenstift,
     die Haare klebten ihr in feuchten Strähnen am Kopf. »Der kleine Hosenscheißer«, sagte sie träge. »Hätt ich mir denken können,
     dass es dich hierherzieht. Bei deinem Näschen für feine Würste!« Sie lachte meckernd.
    In Jonas begann es zu brodeln. »Du hast doch Schiss! Du traust dich hier nicht raus, weil du Angst hast, dass Tante Tiger
     dich frisst. Du kannst nur petzten und Schwächere verdreschen.«
    »Zu irgendwas muss man ja gut sein, Zwerg Nase«, sagte Vera, rappelte sich schwerfällig auf und machte einen großen Schritt
     auf Jonas zu. Jonas duckte sich an Vera vorbei. Sie fuhr herum und stand jetzt mit dem Rücken zu dem kleinen Becken. Jonas
     zitterte, unterdrückte aber den Reflex, zur Tür zu rennen. Er |253| hatte Angst, aber er wollte sie nicht zeigen. ›Deckung hoch!‹, dachte er und hob die Fäuste. Die Taucheruhr rutschte klirrend
     nach unten.
    Vera stutzte. »Wo hast du die Uhr her?«
    »Von Papa«, sagte Jonas.
    Veras verschmierte Lippen verzerrten sich zu einem Grinsen. »Geklaut. Du hast meinem Vater die Uhr geklaut. Dafür hau ich
     …« Vera kam nicht mehr dazu, zu Ende zu sprechen.
    In Jonas explodierte etwas. Er schrie: »Das ist mein Vater! Meiner! Meiner! Meiner! …« Zwei tänzelnde Schritte und er schlug
     Vera die rechte Faust mitten in den Magen. Sie riss Augen und Mund weit auf, sog pfeifend Luft ein und taumelte rückwärts.
     Jonas sah es kaum. Er starrte auf seine Hand. ›Ich habe zugeschlagen‹, dachte er. ›Einfach so, voll zugeschlagen, eine richtige
     rechte Gerade, mitten rein. Sie hatte keine Deckung, keine Chance.‹ Er war entsetzt über die Gewalt, die ihn wie eine starke
     Strömung fortgerissen hatte, aber gleichzeitig stolz, dass er sich gewehrt hatte.
    Ein Röcheln ließ ihn hochschrecken. Vera hing halb in dem Becken; mit einer Hand und einem Fuß klammerte sie sich noch an
     der Beckenkante fest. Jonas sah ihr verzweifeltes Gesicht – gleich würde sie abrutschen.
    Durch seinen Kopf schoss kurz die Erinnerung an den Moment, als er Tante Tiger allein in der Hängematte gehalten hatte und
     kurz davor war, das Gleichgewicht zu verlieren … Jonas sprang zum Beckenrand |254| und fasste Vera an der Schulter. Als sie ihre zweite Hand nach oben riss, packte er das triefende, glitschige Etwas und zog
     mit aller Kraft.
     
    Keuchend saß Vera auf den Kacheln. Ihr rechter Arm und ihr rechtes Bein sahen aus, als ob man sie in flüssige Schokolade getaucht
     hätte, wenn man die Klopapierfetzen übersah, die an ihr klebten. Sie starrte vor sich hin.
    »Verdammte Scheiße!«, schrie sie plötzlich und fing an zu schluchzen. Jonas griff mit seiner sauberen Hand in die Hosentasche
     und zog das Stück Gewürzseife heraus, das er nach dem Aufstehen eingesteckt hatte. Er hielt es Vera hin. Sie rührte sich nicht.
     Aber als das Schluchzen schwächer wurde, nahm sie das Seifenstück mit der sauberen Linken und hielt es an die Nase.
    »Riecht komisch«, sagte Jonas. »Nach Kirche, aber immer noch besser als das …« Er hob seine verschmierten Hände.
    Vera sog den Duft der Seife ein. »Riecht nicht schlecht«, sagte sie mit rauer Stimme. »Wie Weihnachten.«
    »Kannst es behalten.«
    Vera sah ihn an. Mühsam wuchtete sie sich in die Höhe. »Da hinten ist ein Wasserhahn mit Schlauch, da können wir uns waschen.«
     Sie stapfte los. »Komm schon, kleiner …«, sie zögerte kurz. »Schläger«, sagte sie dann und ging weiter.
    Jonas stutzte. ›Kleiner Schläger‹. Aus Veras Mund war das fast ein Kompliment.
    |255| Sie wuschen und schrubbten sich, so gut es ging mit dem kalten Wasser. Als Vera endlich fertig war, war die Seife nur noch
     halb so groß und Vera sah wieder aus wie immer. Bleich und schwarz, nur dass ihre Klamotten pitschnass waren und ihr Gesicht
     ungeschminkt. Sah fast schon wie ein Mensch aus, fand Jonas.
    Vera bückte sich nach einem schwarzen Stoffbeutel, den sie als eine Art Handtasche mit

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