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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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das er eingepackt hatte, und machte sich auf den Weg zum Wasserhahn. Jetzt
     bei Tageslicht wollte er sich noch einmal richtig waschen. Die Dschungelhecke vor dem Zaun, an der er entlangschlenderte,
     war längst nicht mehr so unheimlich und undurchdringlich wie in der Nacht. Zwischen den fremden Blüten und Blättern segelten
     Schmetterlinge in allen Farben und Größen. Jonas entdeckte eine riesige Zitrone und hatte große Lust, einfach hineinzubeißen
     – aber sie hing zu hoch. ›Wie im Paradies‹, dachte er, während er sich unter den Wasserhahn beugte und aufdrehte.
    Durch das Plätschern hörte er plötzlich eine Stimme. Er drehte den Hahn zu und lauschte. Sie drang aus einem kleinen Kippfenster,
     ein ganzes Stück über ihm in der Mauer.
    »… Komm mit! Ich hau ab hier. Ist kein guter Platz … Ja, schlimmer als hundert tote Schweine stinkt es! Das ist ein Scheißhaus.
     Hält kein Mensch aus hier. Da ist mir das Kätzchen lieber …«
    Die Stimme klang hohl und verzerrt. Trotzdem, Jonas kannte sie, ihm fiel nur nicht ein, zu wem die Stimme gehörte. Er schlich
     die Mauer entlang und spähte um die Ecke. Parallel zu dem langgestreckten Gebäude, an dessen Kopfseite er stand, erstreckte
     sich ein schmales, mit einer Metallplatte abgedecktes Becken. Am Rand des Beckens verlief ein dickes Rohr, in das in regelmäßigen
     Abständen schwarze Schläuche |250| mündeten. Jonas hatte keine Ahnung, was das war. Er betrat den gepflasterten Weg zwischen dem Gebäude und dem Becken. Unter
     der Abdeckung des Beckens hörte er lautes Gurgeln, Blubbern und Plätschern. Jonas ging langsam weiter. Bis zu einer Tür, die
     links von ihm in das Gebäude führte:
     
    RECHENGEBÄUDE
    1. mechanische Reinigungsstufe
     
    stand auf einem gelben Blechschild.
    Während Jonas noch das Schild anstarrte und überlegte, was eine mechanische Reinigungsstufe war und ob das ganze Gebäude voller
     Rechen stand, flog die Tür auf. Igor, der Schweinskopf, stand vor ihm. Sein kugelrunder Kopf leuchtete rot und sein weißes
     Hemd klebte am Körper.
    Seine Stimme war es, die Jonas gehört hatte. Igor starrte Jonas wütend an. Die kleinen Äuglein wurden noch kleiner und er
     ging vor Jonas in die Hocke, sodass ihre Nasen sich fast berührten.
    »Du gehst jetzt da rein«, sagte er mit heiserer Stimme, »und sagst ihr, dass das Kätzchen brav ist, auch wenn es brüllt, weil
     es dich und den anderen Schafskopf auch nicht gefressen hat, sondern mein Fleisch. Seit zwei Wochen. Ist richtig, oder? Und
     wenn es eine wilde Bestie wäre, hättet ihr das Kätzchen nicht füttern können. Ist auch richtig, oder? Ja, glotz nur. Igor
     ist nicht so ein Dummkopf, wie du glaubst. Na was? Was wartest du? Geh rein und sag’s ihr. Und wenn du |251| sie nicht rausbringst, komm ich wieder rein und mach Hackfleisch aus euch beiden!«
    Er packte Jonas mit seiner rosigen Pranke und schob ihn an sich vorbei durch die Tür, die hinter Jonas mit lautem Krachen
     ins Schloss flog. Einen winzigen Moment lang dachte Jonas, Igor hätte ihn zurück in die Kanalisation geschubst, mit solcher
     Wucht traf ihn der Gestank.
     
    Jonas stand in einem hohen Raum. Boden und Wände waren weiß gekachelt. Durch die schmalen Fenster, die knapp unter der Decke
     lagen, fiel etwas Tageslicht; ein gedämpftes Licht, das manche Winkel im Düstern ließ. Bis auf ein kleines Becken im Boden
     war der Raum leer. Aus dem Becken ragte so etwas wie eine Rolltreppe. Nirgends stand ein Rechen.
    Das Becken war gefüllt mit einer bräunlichgrünen Flüssigkeit. Jonas wusste sofort, was es war: genau dieselbe stinkende Brühe,
     die durch den großen unterirdischen Kanal floss. Er ging näher an das Becken heran. Die Rolltreppe war ein Förderband, auf
     dem ein Netz oder Sieb lief, in das in regelmäßigen Abständen eine Reihe Metallzinken montiert war. Alles, was in der Kloake
     mitschwamm, verfing sich in dem Sieb und den Zinken: aufgeweichtes Klopapier, Essensreste, Jonas erkannte Spaghetti, Gurken
     und Orangenschalen, außerdem etwas, das aussah wie ein Strumpf, und natürlich jede Menge Kacke. Das Förderband endete über
     einem Metallcontainer, in den der ganze Dreck fiel. ›Das Förderband ist der Rechen‹, |252| schoss es Jonas durch den Kopf. ›Es recht mit seinen Zinken das Zeug aus dem Wasser.‹ Jonas wurde allmählich flau im Magen
     und er sah woanders hin.
    In der Wand, die der Tür, durch die er gekommen war, gegenüberlag, entdeckte Jonas ein großes Tor. ›Dort

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