Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
Vom Netzwerk:
ihr Hunger?
    Nein, sagt Jameelah.
    Ich schaue auf den Geldschein in meiner Hand, da fällt mir was ein.
    Wir müssen noch mal weg, sage ich, nur rüber zum Imbiss.
    Ich hab keinen Hunger, sagt Jameelah, hörst du schlecht?
    Jetzt komm, sage ich und ziehe sie mit.
    Nicht zu weit weggehen, ruft Noura uns hinterher.
    Eine große Pommes, bitte, ohne alles, sage ich und halte dem Typen am Imbiss den Schein hin.
    Was wird das denn, sagt Jameelah.
    Ich nehme das Tablett in die Hand und laufe rüber zu einem der Tische.
    Kartoffelparty.
    Ich will nicht, sagt Jameelah.
    Ich auch nicht, sage ich und setze mich, aber dann esse ich doch eine Pommes, und noch eine, und noch eine.
    Mensch, jetzt lass mir auch noch welche übrig, sagt Jameelah und greift zu.
    Kartoffel, sage ich, ist eigentlich ein voll schlimmes Wort, findest du nicht, das klingt schrecklich.
    Alle Wörter mit K klingen schlimm, sagt Jameelah mit vollem Mund, ist dir das noch nie aufgefallen? Knast, Kloster, Krankenhaus, Kaserne, Kazett.
    Stimmt, Kazett, sage ich, und Krebs natürlich!
    Siehst du, sagt Jameelah, mit Kartoffel ist es genau so, aber Kartoffel ist nicht wirklich schlimm, Kartoffel ist eher hässlich, so wie Kotze oder Krätze.
    Beim Essen fallen uns immer mehr K-Wörter ein, eins schlimmer als das andere, bis die Pommes alle sind. Ich bestelle noch eine zweite Runde. Aus den Boxen dröhnt Verdammt, ich lieb dich.
    Das ist das Lieblingslied von meiner Mutter, sage ich.
    Echt?
    Ja, das hat sie gehört, als sie so alt war wie wir. Daran merkt man mal wieder, wie alt Erwachsene sind.
    Wieso?
    Na ja, er singt davon, dass er bis nach Mitternacht durch die Straßen zieht und an einem Abend sieben Bier trinkt. So ein Opa.
    Jameelah grinst.
    Bis nach Mitternacht und sieben Bier, die schaffe ja selbst ich an einem Abend.
    Und Nico, sage ich, wenn der freihat, dann trinkt er an einem Abend einen ganzen Kasten leer.
    Habt ihr noch mal gesprochen, fragt Jameelah.
    Nur kurz, aber nicht über die Sache.
    Wieso vertragt ihr euch nicht wieder?
    Keine Ahnung. Mache ich vielleicht auch.
    Ja, sagt Jameelah, mach das mal.
    Hast du Lukas noch mal gesehen?
    Nein, sagt sie, will ich auch nicht. Ich hab aber gehört, dass Anna-Lena echt auf diese andere Schule kommt.
    Eigentlich müssten wir uns irgendwie an Lukas rächen, sage ich, aber Jameelah schüttelt den Kopf.
    Ich will mich nicht rächen, Rache ist das Ekelhafteste von der Welt. Wenn es keine Rache geben würde, dann wären Abu und Youssef nicht tot, dann wären wir nie nach Deutschland gekommen, und dann müsste ich jetzt auch nicht wieder weg.
    Scheiß auf Deutschland, sage ich, was ist das für ein Land, wo sie Menschen einfach so wegschicken?
    Hör auf, sagt Jameelah, es gibt so viele gute Dinge in Deutschland.
    Was denn?
    Weiß nicht, alles Mögliche.
    Siehst du. Jetzt fällt dir nichts ein.
    Doch. Zum Beispiel, dass draußen vor den Geschäften im Sommer immer Wasser für die Hunde steht.
    Du spinnst ja, sage ich.
    Doch, sagt Jameelah, gerade so was Normales, so was bescheuert Normales wie Wasser für Hunde, das macht das Leben aus.
    Sie schaut auf die Uhr.
    Ich muss los.
    Wir gehen zurück. Vor der Anzeigetafel steht Noura.
    Komm her, Kleines, sagt sie und beugt sich zu mir herunter.
    Ich komme euch besuchen, sage ich.
    Du hast doch gar kein Geld, sagt Jameelah.
    Doch, ich trage Zeitungen aus oder so was, und dann komme ich euch besuchen. In den Weihnachtsferien. Da ist es im Irak doch wärmer als hier, da scheint doch auch im Winter die Sonne, oder?
    Noura lächelt.
    Im Winter ist es da, wo wir leben werden, noch viel kälter als hier, dort kannst du im Dezember Skifahren.
    Aber im Sommer, sage ich, da scheint doch die Sonne, oder?
    Noura streicht mir über den Kopf.
    Ja, sagt sie, aber da, wo wir leben werden, ist der Mond die Sonne.
    Tschüs, sagt Jameelah.
    Tschüs, sage ich.
    Wir umarmen uns, dann gehen Noura und Jameelah durch die Absperrung.
    Ich komme euch besuchen, rufe ich, egal ob Schnee oder Mond oder Sonne, ich schwöre, ich komme euch besuchen.
    Jameelah dreht sich um und hält ihren kleinen Finger hoch.
    Pinkischwur?
    Pinkischwur, rufe ich und reiße meinen kleinen Finger hoch.
     
     
    Rainer sitzt auf dem Fahrersitz und liest Zeitung. Er lässt den Motor an, als er mich sieht. Ich schlüpfe auf den Rücksitz.
    Nicht traurig sein, sagt er und dreht sich zu mir um, alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.
    Lass mich in Ruhe, sage ich, aber Rainer lässt nicht locker, er sagt, komm, ich fahr

Weitere Kostenlose Bücher