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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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Zusammenstoß der Kulturen: Westen und Osten.«
    Atanasio war fertig mit Essen und bestellte einen Kaffee. Morgado tat es ihm gleich. Erst dann, ohne die um den Tisch stehenden Kellner, konnten sie sich die anderen Gäste und das Restaurant selbst anschauen. An der hinteren Wand fiel eine riesige Schlange aus Holz auf, die Rauch aus den Nüstern stieß.
    »Das ist also der Feuerdrache«, mutmaßte Morgado.
    »Genau. Und weißt du, warum sie dem Restaurant diesen Namen gegeben haben?«
    »Mein geschätzter Touristenführer, verrate es mir oder schweige für immer. Aber komm mir nicht mit solchen Fragen.«
    »Wie bist du denn drauf? Man merkts doch gleich, die Neurose ist der erste Exportartikel von Mexico City, abgesehen vom Smog und von den Hauptstädtern natürlich. Aber weil ich ein netter Mensch bin und eine ungebildete Person auf Anhieb erkenne, werde ich dich von deiner Unwissenheit erlösen.«
    Man brachte ihnen den Kaffee und ein paar chinesische Kekse, die sie umgehend verdrückten.
    »Das Restaurant hieß erst ›Drache‹. Wang Wei hat es ungefähr 1960 eröffnet. Es war ein Riesenerfolg. So sehr, dass die vier mächtigsten Lokalpolitiker damals Wang bald auf dem Kieker hatten und ihn bedrängten, es ihnen zu verkaufen. Er sollte weiter als Geschäftsführer tätig sein, aber das Geld wollten sie einsacken. Wang hat sich nicht darauf eingelassen. Als Reaktion auf seine Weigerung drohten sie ihm an, den Ausländerartikel 33 der Verfassung gegen ihn anzuwenden. Sie verklagten ihn, damit das Restaurant wegen angeblicher Verstöße gegen die Hygieneordnung geschlossen wurde. Sie entfachten eine gemeine Hetzkampagne gegen ihn. In seiner Küche liefen Ratten herum, es werde Fleisch von Katzen und streunenden Hunden serviert, und das Ganze sei nur eine Tarnung für Drogenhandel. Reine Lügenmärchen. Aber weil wir in Mexicali eine Bauernmentalität haben, glaubten viele, was geredet wurde. Das Restaurant ging den Bach runter. Die Politiker bliesen erneut zum Angriff, sicher, dass das Lokal bald ihnen gehören würde. Aber Wang hielt sich im Sattel. Irgendwann war der Laden pleite. Nicht einmal die Fliegen kehrten dort ein. Und eines schönen Tages, mitten im Hochsommer, ging der Laden in Flammen auf. In zehn Minuten war alles verbrannt. Und weißt du was?«
    »Nein, aber gleich weiß ich’s.«
    »Als die Feuerwehrleute den Brand gelöscht hatten, fanden sie drei verkohlte Leichen. Anfangs wusste man nicht, wer sie waren, aber später fand man noch eine vierte Leiche im Kühlraum des Restaurants. Der Arme hatte sich vor den Flammen dorthin geflüchtet und war erstickt. Dieser Körper war der Schlüssel zu der Identifizierung der anderen.«
    »Lass mich raten. Bei den Toten handelte es sich um die vier gerissenen Politiker, die Wang Weis Restaurant haben wollten.«
    » Elementary, mein lieber Watson.«
    »Und Wang Wei?«
    »Der tauchte ein paar Stunden später auf. Er war in San Francisco bei einem Treffen chinesischer Restaurantbesitzer gewesen. Er hatte tausende von Zeugen, die ihm ein Alibi gaben, sogar den Gouverneur von Kalifornien. Es wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Im Sachverständigengutachten kam man zu dem Schluss, dass es sich bei dem Brand um einen Unfall gehandelt hatte, und niemand verlor mehr ein Wort darüber. Es fragte auch keiner, was zum Teufel vier bekannte Politiker um drei Uhr morgens in einem chinesischen Restaurant zu suchen hatten.«
    »Und das war das Ende der Geschichte.«
    »Fast. Wang Wei baute seinen Laden mit der Versicherungssumme wieder auf und gab ihm seinen neuen Namen: Feuerdrache. Es wurde ein voller Erfolg, und so ist es bis heute geblieben.«
    »Was lernen wir daraus: Das Betreiben chinesischer Restaurants ist ausschließlich Chinesen vorbehalten.«
    »Noch besser: ›Ein verbrannter Mund isst keinen Reis.‹«
    Morgado verlangte die Rechnung.
    »Ich gehe kurz auf die Toilette«, sagte Atanasio. »Wir treffen uns an der Kasse.«
    Morgado ging zahlen. Ein alter Chinese saß auf einem Hocker neben der Eingangstür. Er rauchte eine schmale Pfeife. Er war gekleidet wie die meisten seiner Landsleute: ein weißes langärmeliges Hemd, eine weite graue Hose und schwarze Leinenschuhe.
    »Sind Sie der Besitzer?«
    Der Alte bejahte mit einem kaum merklichen Nicken.
    »Ich bin Miguel Ángel Morgado.«
    »Angenehm. Ich heiße Wang Wei. Wurden Sie gut bedient?«
    »Exzellent. Ein erstklassiger Service.«
    »Das höre ich gern.«
    Morgado versuchte den Wang Wei aus Atanasios

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