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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Willy von sich erzählte, oder nicht, war weniger wichtig als die Tatsache, daß Willy getan hatte, was er eben getan hatte, und daß dabei die Jahre ins Land gegangen waren. Das war doch das Wichtigste, oder? Die Jahre, die Zahl der Jahre, die vom Jungsein bis zum Nicht-mehr-ganz-so-jung-sein verstrichen, und daß man die ganze Zeit über nur zuschaute, wie sich die Welt um einen herum veränderte. Zu dem Zeitpunkt, als Mr. Bones aus dem Leib seiner Mutter kroch, waren Willys wilde Jahre nur noch vage Erinnerung, ein Haufen Kompost, der auf einem leeren Grundstück vermoderte. Die Ausreißer waren wieder bei Mom und Dad untergekrochen, die Kiffer hatten ihre Liebesperlenketten gegen paisleygemusterte Krawatten eingetauscht, der Krieg war vorbei. Nur Willy war immer noch Willy, der komödiantische Verseschmied und selbsternannte Verkünder der Weihnachtsbotschaft, eine wandelnde faule Ausrede in der verdreckten Kluft eines Vagabunden. Die Zeit war mit dem Poeten nicht sonderlich gnädig umgesprungen, und er paßte nicht mehr so richtig hinein. Er stank und sabberte, er trat den Leuten auf den Schlips, und durch die Schußwunden und Messerstiche und den allgemeinen körperlichen Verfall hatte er auch seine Schnelligkeit verloren, seine einstmals erstaunliche Fähigkeit, sich Problemen durch die Flucht zu entziehen. Fremde raubten ihn aus und verprügelten ihn. Sie traten ihn, wenn er schlief, steckten seine Bücher in Brand und nutzten seine Schwächen und Gebrechen aus. Als er nach einer dieser Attacken mit Sehstörungen und einem gebrochenen Arm im Krankenhaus gelandet war, wurde ihm klar, daß er irgendeinen Schutz brauchte. Zunächst dachte er an eine Schußwaffe, aber die waren ihm zuwider, und so kam er auf die zweitbeste Lösung: einen vierbeinigen Beschützer.
    Mrs. Gurevitch war davon nicht sonderlich erbaut, aber Willy blieb beharrlich und setzte sich durch. Also wurde der junge Mr. Bones seiner Mutter und den fünf Geschwistern im Tierheim North Shore entrissen und zog in die Glenwood Avenue nach Brooklyn. Wenn er ganz ehrlich war, erinnerte er sich nicht sonderlich lebhaft an diese erste Zeit. Engelsch war damals noch ein Buch mit sieben Siegeln für ihn, und wegen Mrs. Gurevitchs wirrer, verhunzter Sprache und Willys Vorliebe für Stimmenimitationen (mal redete er wie Gabby Hayes, mal wie Louis Armstrong, morgens wie Groucho Marx, abends wie Maurice Chevalier) dauerte es mehrere Monate, bis er es kapierte. Dazwischen lagen die Höllenqualen des Welpentums: die Kämpfe, bis Blase und Darm unter Kontrolle gebracht waren, die Zeitungen auf dem Küchenfußboden und die Schnauzenstüber von Mrs. Gurevitch, wenn er wieder mal den Urin nicht bei sich behalten konnte. Sie war eine griesgrämige alte Meckerziege, und ohne Willys sanfte Hände und beruhigende Zärtlichkeit wäre das Leben in der Wohnung bestimmt kein Zuckerschlecken gewesen. Es war Winter, auf der Straße nichts als Eis und beißendes Streusalz, und so verbrachte er fast die gesamte Zeit drinnen und hockte entweder zu Willys Füßen, während der Poet sein neuestes Meisterwerk fabrizierte, oder untersuchte jeden Winkel seines neuen Zuhauses. Die Wohnung bestand aus viereinhalb Zimmern, und als es Frühling wurde, kannte Mr. Bones jedes Möbelstück, jeden Fleck auf den Teppichen, jeden Kratzer im Linoleum. Er kannte den Geruch von Mrs. Gurevitchs Hausschlappen und den von Willys Unterhosen. Er kannte den Unterschied zwischen Türklingel und Telefon, konnte zwischen klimpernden Hausschlüsseln und klappernden Pillen in einem Plastikröhrchen unterscheiden, und schon nach kürzester Zeit war er mit jeder einzelnen Küchenschabe, die im Schrank unter der Spüle hauste, per du. Das alles war zwar nur langweilige, beengte Routine, aber woher sollte Mr. Bones das wissen? Er war doch nur ein dummer Welpe, ein Einfaltspinsel mit Patschpfoten, der seinem eigenen Schwanz hinterherjagte und an seinen Exkrementen herumkaute, und da dies das einzige Leben war, das er bis dahin kennengelernt hatte, wie sollte er beurteilen können, ob es arm oder reich war an den Dingen, die das Leben erst lebenswert machen?
    Doch da sollte die kleine Töle noch ihr blaues Wunder erleben! Als es nämlich endlich wieder wärmer wurde und die Knospen aufsprangen, fand Mr. Bones schnell heraus, daß Willy mehr war als nur ein bleistiftkauender Stubenhocker und professioneller Wichskünstler. Sein Herrchen war ein Mensch mit dem Herzen eines Hundes. Er war ein Streuner, ein

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