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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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gerade erst auf, und während der tauende Schnee von den Bäumen rutschte und vor ihm zu Boden fiel, fragte sich Mr. Bones, ob der Highway wirklich so nah war, wie es schien. Mit Geräuschen war das so eine Sache; mehr als einmal hatte ihn die Luft hereingelegt, und er hatte geglaubt, etwas weit Entferntes sei viel näher. Er wollte seine Energien nicht auf etwas Nutzloses verschwenden, doch wenn die Straße dort war, wo er glaubte, hatte er vielleicht eine Chance. Der Verkehr nahm zu, und er konnte alle möglichen Fahrzeuge unterscheiden, die die nasse Straße entlanghuschten, eine ununterbrochene Parade von großen und kleinen Autos, Lastern, Lieferwagen und Überlandbussen. Hinter dem Steuer jedes einzelnen Fahrzeugs saß ein Mensch, und wenn nur einer dieser Fahrer anhielt und ihm half, würde er vielleicht gerettet werden. Das bedeutete natürlich, daß er die Anhöhe vor sich hinaufkriechen und auf der anderen Seite wieder hinuntergelangen mußte, doch so schwer das auch sein mochte, er mußte es schaffen. Irgendwo war die Straße, und er mußte sie finden. Der einzige Haken an der Sache war, daß er sie auf Anhieb finden mußte. Wenn er die falsche Richtung einschlug, würde er nicht mehr die Kraft haben, den Hügel wieder hinaufzuklettern und es noch einmal zu versuchen.
    Aber die Straße war da, und als der fiebernde Mr. Bones sie schließlich erblickte, nachdem er sich vierzig Minuten lang an den Dornen, hervorstehenden Felsbrocken und wuchernden Wurzeln vorbeigequält hatte, die ihm den Weg versperrten, nachdem er ausgeglitten und einen Erddamm hinuntergerutscht war, und nachdem er sich das Fell in den schlammigen Schneepfützen durchnäßt hatte, wußte er, daß die Erlösung nahte. Die Straße war unendlich breit und beeindruckend: ein sechsspuriger Highway voller Pkws und Laster, die in beide Richtungen vorüberrasten. Der schwarze Teer, die Leitplanken und die Äste der Bäume zu beiden Seiten waren noch feucht vom getauten Schnee, und die Wintersonne, die vom Himmel auf diese Millionen von Wassertropfen herabstrahlte, ließ ihm die Straße als ein gleißendes Spektakel, als Fläche überwältigenden Lichts erscheinen. Sie war genau so, wie er sie sich erhofft hatte, und er wußte nun, daß der Einfall, den er im Lauf der vierzig Minuten währenden, mühseligen Plackerei hügelan und hügelab gehabt hatte, die einzig richtige Lösung für sein Problem war. Die Laster und Pkws konnten ihn von hier fortschaffen, aber sie konnten ihm auch die Knochen zermalmen und dafür sorgen, daß er seinen letzten Schnaufer tat. Alles war sonnenklar, wenn man es nur mal im Überblick betrachtete. Er brauchte nicht zu warten, bis seine Zeit gekommen war - es war jetzt schon soweit. Er brauchte nur auf die Straße zu treten, und schon wäre er in Timbuktu. Er wäre im Land der Wörter und durchsichtigen Toaster, im Land der Fahrradreifen und brennenden Wüsten, in denen Hund und Mensch auf du und du waren. Willy wäre bestimmt zunächst dagegen, aber nur, weil er dächte, Mr. Bones wäre dort hingelangt, indem er sich das Leben nahm. Aber Mr. Bones dachte gar nicht an etwas so Vulgäres wie Selbstmord. Er wollte nur ein Spiel spielen, die Art von Spiel, die jeder kranke und verrückte alte Hund spielen würde. Und das war er doch, oder? Ein kranker und verrückter alter Hund.
    Das Spiel hieß »Den Autos ausweichen«, und es war ein uralter, ehrwürdiger Sport, der es jedem Oldtimer erlaubte, noch einmal den Glanz seiner Jugend nachzuempfinden. Es machte Spaß, es belebte, und es war eine Herausforderung an die athletischen Fähigkeiten jedes Hundes. Man lief einfach über die Straße und sah zu, daß man nicht überfahren wurde. Je öfter man es schaffte, desto großartiger der errungene Sieg. Früher oder später kehrten sich die Chancen natürlich gegen einen, und nur wenige Hunde hatten bisher dieses Spiel gespielt, ohne es am Ende zu verlieren. Aber das war ja das Schöne daran. Wenn man verlor, hatte man gewonnen.
    Und so geschah es, daß Mr. Bones alias Sparkatus, Partner des verstorbenen Poeten Willy G. Christmas, an einem strahlenden Wintermorgen in Virginia zu beweisen versuchte, daß er ein Champion unter den Hunden war. Er trat von der Wiese auf den Seitenstreifen der gen Osten führenden Fahrbahn, wartete auf eine Lücke im Verkehr und rannte los. So schwach er auch war, er hatte noch immer Mumm in den Knochen, und als er erst mal in Schwung gekommen war, fühlte er sich so stark und glücklich wie seit

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