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Timeless: Roman (German Edition)

Timeless: Roman (German Edition)

Titel: Timeless: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Monir
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    M ichele stand allein in der Mitte eines Spiegelsaals. Die Spiegel zeigten ein Mädchen, das genau so aussah wie sie, mit dem gleichen kastanienbraunen Haar, der gleichen elfenbeinfarbenen Haut und den gleichen haselnussbraunen Augen. Es trug sogar dasselbe Outfit: dunkle Jeans und ein schwarzes Trägertop. Doch als Michele einen Schritt vortrat, bewegte sich das Mädchen im Spiegel nicht. Und während Micheles eigener Hals nackt war, trug das Spiegelbild einen seltsamen Schlüssel an einer goldenen Kette, einen Schlüssel, wie Michele ihn nie zuvor gesehen hatte.
    Es war ein goldener Generalschlüssel, dessen Form der eines Kreuzes glich, aber mit einem kreisförmigen Bogen an der Spitze. In den Bogen war das Bild einer Sonnenuhr eingelassen. Der Schlüssel sah sehr alt und irgendwie weise aus – so als sei er nicht unbeseelt, sondern ein Lebewesen, das Geschichten aus über einem Jahrhundert zu erzählen hatte. Einen Moment lang wurde Michele von dem Verlangen erfasst, den seltsamen Schlüssel durch das Glas hindurch zu berühren. Doch sie spürte nur die kühle Oberfläche des Spiegels, und das Mädchen mit Micheles Gesicht schien sie nicht zu bemerken.
    »Wer bist du?«, flüsterte Michele.
    Doch das Spiegelbild antwortete nicht, ja, es schien sie nicht einmal gehört zu haben. Michele spürte, wie ihr Gänsehaut die Arme hinaufkroch, und schloss fest die Augen.
    Plötzlich wurde die Stille durchbrochen. Jemand pfiff – eine langsame Melodie, bei der sich Micheles Nackenhärchen aufstellten. Sie riss die Augen auf – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich jemand zu dem Mädchen im Spiegel gesellte. Michele stockte der Atem. Sie fühlte sich wie gelähmt, unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als ihn durch das Glas hindurch anzustarren.
    Seine Augen, deren Farbe tiefblauen Saphiren glich, leuchteten im Wettstreit mit seinem dichten schwarzen Haar. Und obwohl er in ihrem Alter zu sein schien, war er ganz anders gekleidet als die Jungen, die sie kannte. Er trug ein gestärktes weißes Hemd unter einer weißen Seidenweste, eine weiße Krawatte, eine elegante schwarze Hose und schwarze Lacklederschuhe. In den Händen, die in weißen Handschuhen steckten, hielt er einen schwarzen, mit Seide gefütterten Zylinder. Die formelle Kleidung passte zu ihm. Er sah geradezu unwirklich gut aus, viel besser, als sich mit dem Wort »schön« ausdrücken ließ. Während sie ihn beobachtete, empfand Michele einen merkwürdigen Schmerz.
    Mit wild klopfendem Herzen starrte sie ihn an, während er lässig seine Handschuhe auszog und sie zusammen mit dem Hut zu Boden fallen ließ. Dann griff er nach der Hand des Mädchens im Spiegel – und zu Micheles Verwunderung spürte sie seine Berührung. Schnell schaute sie nach unten, doch obwohl ihre Hand leer war, fühlte sie, wie sich seine Finger um ihre schlangen – eine Empfindung, die sie erschauern ließ.
    Was um alles in der Welt geschah nur mit ihr?
    Doch mit einem Mal war Michele keines klaren Gedankens mehr fähig, denn als sie sah, wie sich der Junge und das Mädchen im Spiegel umarmten, spürte sie starke Arme, die sich um ihre Taille legten.
    »Ich warte auf dich«, murmelte er mit einem bedächtigen und merkwürdig vertrauten Lächeln, das auf ein Geheimnis zwischen ihnen hinzudeuten schien.
    Und zum ersten Mal waren Michele und das Spiegelbild völlig identisch, als sie gleichzeitig flüsterten: »Ich auch.«
    Michele Windsor schreckte aus dem Schlaf hoch und schnappte nach Luft. Während sie sich in ihrem abgedunkelten Schlafzimmer umsah, verlangsamte sich ihr Herzschlag, und dann erinnerte sie sich – es war nur DER TRAUM . Derselbe seltsame, aufwühlende Traum, der sie seit Jahren immer wieder verfolgte. Und auch diesmal spürte sie diesen Schmerz der Enttäuschung in der Magengrube, weil sie ihn vermisste – einen Menschen, der nicht einmal existierte.
    Als sie das erste Mal von ihm geträumt hatte, war sie noch ein kleines Mädchen gewesen, so jung, dass sie noch keine Ähnlichkeit mit dem Teenager im Spiegel hatte. Damals hatte sie diesen Traum nur selten, ein- oder zweimal im Jahr. Doch mit den Jahren, während sie dem Mädchen im Spiegel immer mehr ähnelte, drangen die Träume mit einer neuen Dringlichkeit in ihr Bewusstsein – so als versuchten sie, ihr etwas zu sagen. Michele runzelte die Stirn, während sie auf ihre Kissen zurücksank, und fragte sich, ob sie es je verstehen würde. Doch rätselhafte Geschehnisse und Geheimnisse waren seit dem Tag ihrer

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