Timeless: Roman (German Edition)
Marion keine ernsthafte Beziehung mehr eingegangen. Sie hatte sich voll und ganz in die Rolle als Mutter und Designerin gestürzt und schien darin Erfüllung gefunden zu haben. Man könnte also sagen, dass sich die Gesamtsituation überraschend gut entwickelt hatte. Dennoch war es schmerzlich für Michele, von den berühmten Windsors zu lesen oder zu hören. Während sie für andere Menschen den amerikanischen Traum verkörperten, sah Michele sie so, wie sie wirklich waren: gefühlskalte, herrische Menschen, die beinahe ihre Mutter zerstört hätten.
Kaum war ihre Mutter mit ihrer Geschichte fertig gewesen, hatte Michele die Frage gestellt, die sie am meisten beschäftigte: »Wie … wie bist du bloß jemals damit fertiggeworden? Wolltest du nicht am liebsten sterben?«
Marion hatte Michele an den Schultern gepackt und ihr fest in die Augen gesehen: »Hör mir zu, Michele! Nichts im Leben kann dich jemals zerstören, das kannst nur du selbst. Allen Menschen passieren furchtbare Dinge, aber du kannst in einem solchen Moment nicht einfach zusammenbrechen und sterben. Du musst dich wehren. Tust du das nicht, bist du diejenige, die letzten Endes verliert. Aber wenn du weitermachst und kämpfst, wirst du gewinnen. So wie ich mit dir gewonnen habe.«
Obwohl sie noch ein Kind gewesen war, hatte Michele in diesem Moment gewusst, dass ihre Mutter stärker war als alle anderen. Dass sie etwas Besonderes war.
»Michele? Michele!«
Michele fuhr hoch. Ihre Lehrerin sah sie streng an.
»Mal sehen, ob du aufgepasst hast«, sagte Mrs. Brewer. »Wie heißt die Familie, die zum größten Rivalen der Windsors wurde, sowohl in wirtschaftlicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht, und warum wurde sie das?«
»Die Familie Walker«, ratterte Michele automatisch herunter. »Sie waren die Haupteigner bei einigen der Eisenbahn-Unternehmen, auf die es die Windsors abgesehen hatten. Und die Frauen der beiden Familien versuchten immer, sich bei gesellschaftlichen Anlässen gegenseitig die Show zu stehlen.«
Mrs. Brewer zog die Augenbrauen hoch, eindeutig über rascht über diese Antwort. »Das stimmt«, sagte sie dann langsam.
Kristen schaute zu Michele hinüber, und die beiden wechselten einen vielsagenden Blick. Kristen war diejenige, die Michele von den Walkers erzählt hatte. Sie und Amanda waren die einzigen Freundinnen, die Micheles Geheimnis kannten. Neugierig, etwas über ihre berühmte Familie zu erfahren, hatten die beiden ihr bei der Recherche geholfen. Doch sie hüteten das Geheimnis wie ihr eigenes. Niemand aus der Schule hätte sich je vorstellen können, dass Michele Windsor aus einer adligen und reichen Familie stammte.
2
A ls ein paar Stunden später die Glocke zur Mittagspau se läutete, sprang Michele von ihrem Stuhl hoch, erleichtert, dass sie die Mathestunde hinter sich hatte. Mathematik war eindeutig nicht ihr Ding, und schon gar nicht Infinitesimalrechnung. Sie warf Buch und Heft in ihre Tasche, eilte aus dem Klassenzimmer und in Richtung Ausgang. Marion war noch nicht da, und Michele setzte sich auf eine Bank und wartete. Freunde kamen auf dem Weg zum Mittagessen an ihr vorbei, blieben stehen, um Hallo zu sagen und den neuesten Klatsch zu erzählen.
Zehn Minuten später war von ihrer Mutter noch immer nichts zu sehen. Michele zog ihr Handy aus der Tasche und wählte Marions Nummer, landete jedoch bei der Mailbox. Als sie gerade eine Nachricht hinterlassen wollte, wurde sie von einem Polizeiauto abgelenkt, das vor der Schule vorfuhr. Michele starrte den Polizisten an, der mit ernstem Gesicht aus dem Wagen stieg. Neugierig fragte sie sich, welcher ihrer Klassenkameraden in Schwierigkeiten stecken mochte.
Der Polizist schaute sie an, warf dann einen Blick auf etwas, das er in der Hand hielt, und schaute sie erneut an. Voller Angst sah sie, dass er nun direkt auf sie zuhielt. Er wird nur fragen, ob ich Informationen über jemanden oder etwas habe , beruhigte sie sich und rutschte nervös auf der Bank hin und her. Als der Polizist näher kam, konnte sie ihre Fantasie kaum länger im Zaum halten. Bilder von Drogen, die jemand in ihrem Schließfach deponiert hatte, und ähnliche Szenarien schossen ihr durch den Kopf, doch sie versuchte ruhig zu bleiben.
»Hallo. Sind Sie Michele Windsor?«, fragte der Polizist, ein rotgesichtiger Mann in mittlerem Alter.
Zittrig nickte Michele und stand auf. Sie erschauderte bei dem Gedanken, dass ihre Mutter wohl jeden Moment bei der Schule vorfahren würde, nur um zu sehen,
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