Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
ganz und gar nicht das Wiedersehen, das sie sich ausgemalt hatte. Warum schloss er sie nicht in die Arme und hielt sie fest an sich gedrückt, während er ihr benommen berichtete, wie er es geschafft hatte, in die Zukunft zu kommen, um bei ihr zu sein? Und warum war sie in seiner Nähe so schüchtern und nervös?
»Du bist hier «, hauchte Michele. Ihre Stimme klang verändert, als würde sie jemand anderem gehören. »Wie ist das möglich?«
Philip sah sie mit einem unsicheren, schiefen Lächeln an. »Tut mir … leid«, sagte er mit seiner vertrauten, warmen Stimme. »Kennen wir uns?«
Verständnislos starrte Michele ihn an. Sollte das ein Scherz sein? Aber noch während sie ihn hoffnungsvoll ansah und auf die Pointe wartete, begriff sie, was in seinen Augen fehlte: Wiedererkennen.
»O Gott.« Der Schreck überrollte sie, und sie musste sich gegen die Wand lehnen. »Du erinnerst dich nicht an mich?«
Langsam schüttelte Philip den Kopf. »Du musst jemand anderen meinen.« Prüfend sah er sie an. »Wie heißt du?«
Alle Luft wich aus Micheles Körper. Fast hätte sie das Gleichgewicht verloren, hätte Philip sie nicht im letzten Moment gestützt. Als sich seine Hand um ihren nackten Oberarm schloss, spürte sie einen elektrischen Funken zwischen ihnen und sah, dass er scharf Luft holte.
»Du spürst es auch«, sagte sie sanft und blickte zu ihm auf. »Du bist der Philip Walker, das weiß ich.«
Philip ließ sie unbeholfen los. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst – es … es tut mir leid«, stammelte er. Er warf ihr noch einen letzten fragenden Blick zu, ehe er in die entgegengesetzte Richtung davonging und Michele allein und sprachlos zurückließ.
Zum ersten Mal sah ich die »Visionen«, wie ich sie nannte, während meiner Kindheit in Virginia. Sie sahen aus wie Menschen, und doch wusste ich, dass nichts an ihnen gewöhnlich war. Ihre Gesichter und ihre Kleidung, die Art, wie sie ihre Haare trugen – das alles reichte von völlig antiquiert bis hin zu frappierend neumodisch. Schon auf den ersten Blick wusste ich, dass sie nicht aus meiner Welt im frühen 18. Jahrhundert stammen konnten; dazu kam, dass niemand außer mir sie sehen konnte. Meine Familie nannte mich »verrückt«, als ich sie einmal auf eine dieser Visionen hinzuweisen versuchte. Danach habe ich gelernt, Stillschweigen darüber zu bewahren. Es gab nur eine einzige Person, die mir glaubte, und das war meine Großmutter.
Dann geschah das Unvorstellbare. Nach sieben Tagen verdichteten sich die Visionen. Sie wurden zu echten Menschen, zu Männern und Frauen, die jedermann sehen konnte, und sie nahmen die Gebräuche und Umgangsformen unserer Zeit an. Doch stets schienen auf ihr Eindringen in unsere Welt eine Reihe erschreckender Ereignisse zu folgen. Ohne erkennbare Ursache brannten Häuser bis auf die Grundmauern nieder, Nachbarn wurden vermisst und Hochzeiten vereitelt, und all gemein machte sich das Gefühl breit, die Welt sei aus den Fugen geraten. Erst als ich in den Zwanzigern war, erfuhr ich die Wahrheit über die Visionen. Das war, als meine Großmutter starb und mir ihren kostbaren Schlüssel hinterließ, den sie stets an einer eng anliegenden Kette um den Hals getragen hatte. In einem Brief erklärte sie mir ihr Geheimnis: Sie war eine Zeitreisende. Und da ich nun im Besitz ihres Schlüssels war, war ich ebenfalls eine.
Meine Großmutter erklärte mir, dass wir genau wie die Visio nen sind – jeder Zeitreisende, der seine Gegenwart verlässt, lebt wie ein Geist und ist nur für die Hüter der Zeit und die wenigen Menschen mit der Gabe des Sehens sichtbar, solange er nicht sieben Tage in der anderen Zeit verbracht hat. Nur ist es leider nicht vorgesehen, dass die Hüter der Zeit lange genug in einer anderen Zeit bleiben, um diese beeinflussen zu können. Selbst die kleinsten Handlungen von Außenstehenden führten zu schwerwiegenden Konsequenzen. Wenn ein wohlmeinender Hüter der Zeit versuchte, den Tod eines geliebten Menschen oder einen Schicksalsschlag rückgängig zu machen, waren die Folgen danach noch entsetzlicher. Für meine Großmutter war klar, dass unsere Rolle als Hüter der Zeit nur darin bestand zu beobachten, zu lernen und den natürlichen Zeitstrang zu bewahren; und ich war davon ebenso überzeugt wie sie. Ich wusste, dass unsere Macht bezähmt und gezielt eingesetzt werden musste. Das war der Beginn der Zeitgesellschaft.
Im Gründungsjahr 1830 hatte ich zwanzig Mitglieder aus allen Teilen der Vereinigten Staaten
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