Tina und Tini und die Spuren im Schnee
Vordergrund und tranken sich zu, während sich etwas abseits Jäger um die Hundemeute kümmerten, Diener Speisen zubereiteten, Pagen die Reitpferde am Zaumzeug hielten und ein paar barfüßige Kinder aus der Ferne die Gesellschaft neidvoll beobachteten. Sogar einen See mit Wildenten und Schwänen hatte man nicht vergessen und am Himmel türmten sich dramatisch üppige Wolkengebirge.
„Wie lange werden die wohl an dem Ding gestickt haben?“, flüsterte Tina. „Schaut euch bloß die feinen Stiche an! Das muss ja eine Ewigkeit gedauert haben!“
„Bestimmt haben eine ganze Menge Frauen zugleich daran gearbeitet. Und sich dabei den schönsten Dorfklatsch erzählt.“
„Oder haarsträubende Räuber- und Gespenstergeschichten!“, vollendete Tobbi Tinis Satz. „Schließlich gab’s damals noch kein Radio und kein Fernsehen. Seht mal da drüben das Bild! Ein wüstes Schlachtengewimmel.“
„Die armen Pferde. Mussten diese Vollidioten unbedingt in die Schlacht reiten?“, sagte Tina. „Warum konnten sie nicht zu Fuß aufeinander losgehen?“
„Wenn ich mir vorstelle, ich müsste so was malen!“, stöhnte Tobbi. „Da sind doch mindestens fünftausend Figuren drauf. Ob die schon mal jemand gezählt hat?“
„He, die Führung beginnt! Kommt schnell, die sind schon alle im Nebenzimmer!“, drängte Tina.
In einer langen Prozession bewegte sich die Festgesellschaft durchs Schloss. Kaum einer verstand, was Professor Willner vorn erklärte, obwohl er sich sehr bemühte, mit seiner gewaltigen Stimme bis zu den letzten Gästen durchzudringen. Aber auch ohne fachmännische Erklärungen gab es genug zu sehen. Kostbare alte Möbel, Waffen und Ritterrüstungen, feinstes Porzellan, chinesische Vasen, das gräfliche Himmelbett und eine dreihundert Jahre alte Kinderwiege. An den Wänden hingen dicht neben- und übereinander alte Gemälde, Kupferstiche, uralte Landkarten und vergilbte Urkunden.
Den Höhepunkt der Sammlung aber bildete das Münzkabinett. Die Fenster waren mit schweren Samtvorhängen verhüllt, wie in einem Theater. Mit dem gleichen dunkelblauen Samt waren auch die Wände bespannt. Und überall hingen und standen raffiniert beleuchtete Glasvitrinen, angefüllt mit den schönsten Münzen und Medaillen. In allen Größen und Formen blitzte es in Silber und Gold, daneben gab es von Grünspan beschädigte Bronzemünzen, auf denen kaum noch etwas zu erkennen war. Und wie vielfältig die Abbildungen waren! Köpfe bedeutender Männer und Frauen gab es zu sehen, Kaiser, Könige und Päpste, Gelehrte, Künstler und Dichter. Dann Werkzeuge und Waffen, Burgen und Städte, Früchte, Getreide — eine ganze Welt erstand aus den winzigen Abbildungen. Auf weißen Kärtchen konnte man das Alter der Münze und die Aufschrift nachlesen sowie ein paar Einzelheiten über ihre Geschichte und ihren Fundort.
„Ich habe immer gedacht, Münzen wären was Todlangweiliges“, meinte Tina. „Dabei ist das hier richtig spannend. Und wenn man dann noch bedenkt, wie wertvoll sie sind. Die da zum Beispiel — die ist über zweitausendzweihundert Jahre alt!“
„Und die dort! Stellt euch vor, die haben über tausend Jahre im Bauch eines gesunkenen Schiffes auf dem Meeresgrund gelegen! Was die erzählen könnten!“, rief Tini aus.
„Nun? Gefällt es euch hier?“
Professor Willner war unbemerkt zu ihnen getreten.
„Super!“, sagten Tina und Tini wie aus einem Munde.
„Habt ihr für die Ferien schon irgendwelche Pläne?“, erkundigte sich der Museumsdirektor.
„Nein, keine besonderen. Warum?“
„Nun, ich überlege gerade, ob ihr nicht vielleicht Lust habt, euch ein wenig Taschengeld extra zu verdienen. Natürlich nur wenn ihr Zeit — und auch Spaß — daran habt.“
„Arbeiten...“, murmelte Tina wenig begeistert und sah zu Tobbi hinüber. „Wir wollten eigentlich mit unserem Vater...“
„Was müssten wir denn tun?“, erkundigte sich Tobbi vorsichtig.
„Postkarten und Kunstdrucke verkaufen. Jeden Vormittag von zehn bis ein Uhr. Ich muss euch das näher erklären: Mir ist da ein Missgeschick passiert. Zwei Studentinnen wollten diese Arbeit in den Ferien übernehmen, bis wir jemanden gefunden haben, den wir für diesen Posten fest anstellen können. Aber die beiden haben mich einfach sitzen lassen. Sie haben einen besseren Job gefunden, in einem Skigebiet, wo sie das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können. Ich kann sie ja verstehen, aber für mich ist das unangenehm, denn gerade in den Ferien erwarten
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