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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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mich. Die Tage verliefen für mich nunmehr so gleichförmig wie die eines im Käfig eingesperrten Papageis. Es sollte ein Tag wie all die anderen werden, und hätte es nicht das rote Kleid gegeben, er wäre mir nicht in Erinnerung geblieben. Er wäre in der eintönigen Abfolge der Tage, auf die sich mein Leben reduziert hat, untergegangen. Wer die Vorzüge des Alters preist, der hat vergessen, wie langweilig das Leben eines alten Menschen sein kann. Gerne würde ich, wenn ich noch einmal jung sein könnte, auf die Erlösung durch den Tod verzichten. Doch das Glas der Gewohnheit hat einen Sprung bekommen, der Übergang hat sich aufgetan: Das Jetzt hat sich wie ein Lichtschimmer auf dem Wasser aufgelöst, und ich habe plötzlich nachgegeben.
    Faustina bat mich, Erkundigungen einzuholen, ob der Kaiser tatsächlich die notwendige Unterstützung für den Kreuzzug gegen die Ottomanen erhalten habe - und ob wieder einmal ein Krieg in Vorbereitung sei. Jedes Mal, wenn ein Krieg ansteht, bekommt meine Frau Herzrasen, fürchtet sie doch, dass unser Marco sich melden und auf dem Schlachtfeld eines Landes, dessen Namen wir nicht einmal kennen, umkommen könnte. Ich beschwichtigte sie. Auch wenn es einen Krieg geben sollte, wir Venezianer würden
ihn nicht austragen, wir haben unsere Lektion gelernt: Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, musst du mit ihm in Frieden leben. Alle Staaten und auch alle Menschen sollten sich so verhalten.
    Jedenfalls war mir nicht danach, mich mit meiner Frau zu unterhalten. Ich knabberte am Käse herum und spuckte das Brot wieder aus. Noch habe ich alle meine Zähne, und ich wollte sie nicht an diese Kruste verlieren.«Ich gehe jetzt, werde spät zurück sein», sagte ich zu Faustina.«Es ist brüllend heiß draußen, du wirst noch in Ohnmacht fallen», protestierte sie. Hätte es doch nur einen Tag gegeben, an dem meine Frau mich ermutigt, mir einfach blind recht gegeben hätte, ohne dass ich jedes Mal ihre Zustimmung abringen musste!«Um punkt eins bin ich wieder zurück», erklärte ich ihr.«Und dann möchte ich, dass mein langer, schwarzer Satinumhang, den du irgendwo hingestopft hast, für mich bereitliegt.»«Er ist dort, wo du ihn hingestopft hast, Jacomo! », gab sie murrend zurück.«Du trägst ihn ja doch nicht mehr! Die Motten werden ihn zerfressen haben. Was willst du eigentlich mit diesem langen Mantel?», fragte sie plötzlich neugierig.«Ich muss auf eine Beerdigung», antwortete ich so schroff, dass meine Frau keine weiteren Fragen mehr stellte.
     
    «Vater, geht es Euch gut?», fragte Dominico besorgt, als er merkte, dass ich in der Hitze nach Luft rang. Er hat Angst, mich zu verlieren. Mit knapp vierunddreißig Jahren sieht er in mir noch immer seine Leitfigur. Eilig schob ich die Schuld für meinen kleinen Schwächeanfall auf den glühend heißen Wind, diesen verdammten Schirokko, der die ganze Stadt peinigte. Meine Frau winkte mir zum Abschied vom Fenster der Loggia zu. Das macht sie jeden Tag, als stünde ich kurz davor, in irgendein fernes Land aufzubrechen. Dabei habe ich Venedig seit Jahren nicht mehr verlassen.«Ruft mich, wenn das Bild verpackt ist und das Boot bereitsteht», ermahnte ich meine Söhne, die mir auf den Fondamenta
hinterherliefen und überaus elegant aussahen in den bunten Seidenjäckchen, den strahlend weißen Halsbändern und Mützen aus Tobin auf dem dunklen Haar. Sie kehren einen Reichtum und einen Rang nach außen, den sie nicht besitzen. Das habe ich mir allerdings selbst zuzuschreiben. Ich habe ihnen Dinge erlaubt, die ich mir nie gegönnt hätte.«Papa, wo willst du hin?», fragte Dominico verunsichert.«Wo soll er schon hingehen», raunzte ihn Marco mit gedämpfter Stimme an,«dem werden vom vielen Rumsitzen die Eier schwer, er hat doch nichts zu tun.»
    Es stimmte. Ich hatte keinerlei Verpflichtung. Seitdem ich befürchten muss, Aufträge nicht mehr einhalten zu können, habe ich keine mehr übernommen. Ich teilte mir mein restliches Leben nicht mehr in Jahre oder gar Jahreszeiten ein. Tage waren alles, was es noch gab, sowie die Nächte - und davon war jede einzelne so riskant wie die Überquerung des Atlantiks. Mit verblüfften Gesichtern starrten mir meine Söhne hinterher, während ich mich zum Friedhof aufmachte - behutsam und würdevoll setzte ich einen Fuß vor den anderen, geriet ich doch in letzter Zeit häufig ins Straucheln und Stolpern. Dominico sprang mir in seiner fürsorglichen Art zur Seite und fasste mich unter den Arm.
    Mein

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