Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Gespräch mit Hervé de Sainte Croix. Hatte er dem Freund dieses Wiedersehen zu verdanken? Diese Chance, all das zu sagen, was er normalerweise tief in seinem Innern verschlossen hielt? Wäre er nicht ein vollkommener Narr, wenn er sie nicht nutzte? Wer konnte schon wissen, wie lange die erzwungene Gemeinschaft dauerte. Er durfte keine Zeit verschwenden.
»Du hast keinen Grund, dich vor mir zu fürchten, kleiner Hänfling.«
Der vertraute Kosename schlug eine weitere Bresche in Tiphanies Selbstbeherrschung. Sie hörte ihn näher kommen. Schwere Schritte, die den Holzboden zum Vibrieren brachten. Dann stand er so nahe hinter ihr, dass der Lufthauch seiner Worte ihren Schleier bewegte, dennoch verriet sie mit keiner Gebärde, dass sie ihn zur Kenntnis nahm.
»Du musst keine Sorgen haben, dass ich dir zu nahe komme«, versprach er rau. »Ich will nur, dass du zuhörst und selbst urteilst. Ich bin nicht der Ritter ohne Furcht und Tadel, den du in mir siehst. Ich bin eigensüchtig und eitel. Ich wollte immer alles auf einmal. Den größten Ruhm auf dem Schlachtfeld, die schönste Frau an meiner Seite, die kräftigsten Söhne in der Wiege und den ersten Platz an der Seite meines Fürsten. Ich glaubte mich am Ziel meiner Wünsche, als ich vor neun Jahren Anne-Marie zur Frau nahm. Dass sie kurz darauf schwanger wurde, schien für mich der Beweis dafür, dass auch der Himmel meine Pläne segnete. Anne-Marie freute sich weniger über das Kind. Sie war jung und lebenslustig, verwöhnt und flatterhaft. Sie wollte bei Hofe glänzen, bewundert werden und angebetet. Die Schwangerschaft kam zu früh für sie, und die Beschwerden setzten ihr zu. Mein Fehler war, dass ich weder ihre Klagen noch ihre Tränen ernst nahm. Ich kam und ging, wie es die Aufgaben des Herzogs erforderten. Je heftiger ihre Beschwerden und Launen wurden, um so lieber blieb ich an der Seite meines Fürsten ...«
Gefangen von seinem rückhaltlosen Geständnis gab Tiphanie ihre Gegenwehr auf. Sie wandte sich um und suchte in der Miene des schroffen Ritters nach den Spuren des ehrgeizigen Jünglings. Mädchen wie Anne-Marie hatte sie am Hofe des Herzogs zur Genüge kennen gelernt. Kapriziöse Edeldamen, die ihre vielfältigen Wünsche zum Maß aller Dinge erhoben, nur weil sie schön waren und aus bester Familie stammten.
»Bei meinem letzten Besuch auf Morvan hatten wir einen fürchterlichen Streit. Anne-Marie warf mir vor, dass ich ihre Schönheit und ihre Gesundheit für ewige Zeiten ruiniert hätte. Dass sie das Kind hasste, das sie zur Welt bringen sollte, und dass es ihr am liebsten wäre, wenn ich den nächsten Kampf nicht überleben würde. Am folgenden Tag ritt ich ohne Abschied davon. Als ich die Nachricht von der Geburt erhielt, nahm ich in meiner unendlichen Naivität an, dass nun alles gut werden würde. Ich warf mich auf mein Pferd und erreichte im Morgengrauen die Burg von Morvan. Die Zugbrücke war noch nicht einmal herabgelassen, und ich musste mein eigenes Haus durch den Geheimgang betreten. Ich war zu ungeduldig, mit dem Hornsignal das Öffnen zu fordern, und so sah mich niemand kommen. Anne-Marie lag in unserem Alkoven, die Laken blutgetränkt und ihr Atem kaum noch vernehmbar. Mit der letzten Kraft, die ihr blieb, presste sie jedoch ein Kissen auf etwas, das in ihrem Arm lag ...«
Tiphanie überlief ein Schauer des Entsetzens, das durfte nicht wahr sein!
»Sie hat ...« Ihre Stimme brach.
»Sie hat unseren Sohn erstickt, um sich an mir zu rächen«, bestätigte Jannik heiser. »Sie lebte noch lange genug, um mir ins Gesicht zu sagen, wie sehr sie mich hasste. Sie wollte mir nicht den Erben hinterlassen, der sie das Leben gekostet hatte. Sie wollte, dass es für mich keine Freude, keinen Triumph und keine Ruhe mehr geben sollte, denn sie lud mir die Schuld an diesem Mord auf die Seele!«
»Heilige Mutter Gottes!« Tiphanie umklammerte die kalten Hände des Ritters und suchte seinen Blick. »Was habt Ihr getan?«
»Was hätte ich tun können?« Er lachte bitter. »Ich nahm das Kissen fort und ließ das arme Wurm in ihren Armen. Es war schon so kühl wie das Herz seiner Mutter. Ich habe all das stets für mich behalten. Wen hätte ich damit belasten sollen? Ihre verzweifelte Tante, die sie für das Idealbild einer vollkommenen Edeldame hielt? Ihre Eltern, die ohnehin den Verlust der einzigen Tochter beklagten? In einem hatte Anne-Marie schließlich die Wahrheit gesagt: Ich allein trug die Schuld an ihrem Tod und dem Tod meines eigenen
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