Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
allein seinen Weg ...«
Es war Jannik de Morvan, der seiner Gemahlin aus den weiten Gewändern half und ihr das trockene, bereitliegende Leinenhemd überstreifte, um dessen Ausschnitt sie selbst eine Reihe von blauen Vergissmeinnicht gestickt hatte. In einer Mischung aus Unsicherheit, Trotz, Mut und Gottvertrauen umklammerte sie mit einer Hand den Griff des Stuhles und mit der anderen den Arm ihres Gatten.
Aus der lebendigen Stärke seiner angespannten Muskeln zog sie zusätzliche Kraft. Eine Energie, die sie dringend benötigte, denn die Schmerzen zerrissen sie förmlich, während sie gleichzeitig das Gefühl hatte, dass ihr Innerstes sich nach außen stülpen wollte. Die Qual entriss ihr einen Aufschrei, den sie um Janniks willen eigentlich unterdrücken wollte.
Sie verlor das Gefühl für die Zeit. Nur die beruhigende Gegenwart ihres Gatten blieb in ihrem Bewusstsein. Seine Stimme leitete sie durch den Nebel, als sie aufkeuchte und über dem gewaltigen Drängen in ihrem Leib fast zu atmen vergaß.
Gwenna übernahm das Kommando, weil sich die Hebamme in Anwesenheit des Seigneurs kaum zu flüstern traute. »Drückt, Herrin! Presst mit Eurer ganzen Kraft! Tut das Eure dazu, dass das Kind ans Licht kommt!«
Ein neuerlicher Aufschrei und ein dünnes Quäken hoben sich über Gwennas befriedigtes Lachen. »Da ist es ja! Ein Mädchen, ein winziges, vollkommenes, kleines Mädchen!«
Jannik de Morvan sah nicht auf das glitschige rötliche Menschlein, das in Gwennas Händen zappelte. Er beobachtete Tiphanies Züge, auf denen sich keine Erleichterung zeigte. Im Gegenteil, neuerliche Qual zeichnete eine tiefe Falte zwischen ihre Brauen. Ein gepeinigtes Aufstöhnen brach sich aus ihrer Kehle Bahn. Der Schmerz kam zurück, heftiger, wilder und noch schneidender als zuvor. Was hatte das zu bedeuten? Wieso hörte es nicht auf?
»Da ist noch ein Kind!«, rief die Hebamme in diesem Moment erstaunt. »Es sind zwei! Die Herrin bringt Zwillinge zur Welt!«
Tiphanie hörte es, ohne es zu begreifen. Sie schrie in heiserer Pein. Sie krallte ihre Hände in Janniks Arme, dass sich die Fingernägel durch das Wams in seine Haut gruben. Er spürte die ungeheure Gewalt, die ihren Körper durchdrang, und die Hilflosigkeit, mit der sie dieser Macht ausgeliefert war. Er konnte nichts tun, als sie halten und für sie beten. Er hielt entsetzt den Atem an, als sie mit einem neuerlichen Schrei die Augen schloss und ihre Hände plötzlich von ihm sanken, als habe sie nicht einmal mehr dafür die Kraft.
»Da ist es!«, rief Gwenna begeistert, und ein neues, energisches Quäken mischte sich in das dünne Gekreisch des kleinen Mädchens.
»Tiphanie! Geliebte, was ist mit dir? Du darfst nicht sterben, bitte bleib bei mir! Öffne die Augen, ich flehe dich an, ich kann nicht leben ohne dich!«
»Du meine Güte, seht Ihr denn nicht, dass die arme Frau am Rande der Erschöpfung ist?«, rügte die Hebamme seinen Versuch, die reglose junge Mutter zu schütteln. Jetzt, da beide Kinder gesund und zappelnd ihren Protest verkündeten, fand sie zu ihrer gewöhnlichen Wichtigkeit zurück. »Lasst sie in Frieden. Da ist noch die Nachgeburt, die ans Licht muss. Warum lasst Ihr uns nicht unsere Arbeit tun!«
Tiphanie hörte die Stimmen aus weiter Ferne. Sie fühlte sich seltsam frei und schwerelos, sogar ohne stärkere Schmerzen. Sie hatte lediglich ein eigenartiges taubes Gefühl im Unterleib, dort wo alles zerbrochen und über die Maßen gedehnt worden war. Man wusch sie, legte sie zwischen kühle Laken, und als sich ein Becherrand an ihren Mund drückte, trank sie gehorsam. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als sie endlich die Kraft fand, ihre Lider wieder zu heben.
Als erstes sah sie Jannik. Einen stummen, reglosen Seigneur, der mit einem höchst eigenartigen Gesichtsausdruck auf ein Kissen blickte, das er in seinen mächtigen Armen hielt.
Gwenna entdeckte, dass sie wach war, und schenkte ihr ein breites Lächeln. »Da seid Ihr ja wieder, Kindchen! Das habt Ihr gut gemacht. Tapfer, schnell und ohne Gezeter. Ich wusste immer, dass eine wahre Kriegerin in Euch steckt, ich bin stolz auf Euch!«
Tiphanie tauchte in Janniks Augen und entdeckte zu ihrem Erstaunen Tränen darin. Tränen, die auf zwei kleine Wesen tropften, die sich ähnlich waren und gleichzeitig doch unterschieden. Zwei rötliche, verknitterte Gesichtchen mit dunkelblauen Augen, ein wenig ungnädig, aber doch neugierig in die Welt schauend. Das eine zierlich, fein
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