Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Der Wald von Auray
Oktober 1364
Tod und Verderben empfingen die Reiter. Hinter dem gewaltsam aufgesprengten Tor des kleinen Klosters ragten geschwärzte Ruinen und verkohlte Balken, gleich bizarr mahnenden Fingern in den blassen Himmel eines zu Ende gehenden Tages. Nichts bewegte sich zwischen den Trümmern. Es hatte den Anschein, als würden sogar die Tiere des Waldes das stumme Grauen meiden, das von der blutgetränkten Erde aufstieg.
Das Gotteshaus mit seinen Granitsteinmauern überragte den Ort der Katastrophe zwar noch, aber das Feuer hatte Holzdach und Portal zerstört. Die uralten Steinmetzarbeiten an den Mauern waren von frevelnden Händen zertrümmert und besudelt worden. Das Kloster der heiligen Anna von Auray existierte nicht mehr.
Die Männer zügelten in gemeinsamem Entsetzen die Pferde. In stummer Entrüstung starrten sie auf die brutal geschändete Weihestätte. Das Knirschen von Sattelleder und das leise Klirren der Zaumzeuge war – abgesehen vom Schnaufen der Pferde – das einzige Geräusch. Kein Vogel sang in den Bäumen und nicht einmal eine Krähe stieg aus dem Gemäuer auf.
»Hölle und Verdammnis, die Kerle haben ganze Arbeit geleistet«, knurrte schließlich der Anführer des Trupps voller Abscheu und hob die Hand. »Vorwärts!«
Seine ungeduldige Handbewegung fügte an Dringlichkeit hinzu, was an Worten fehlte. Jarinik de Morvan, der Seigneur von Morvan und Branzel, war kein Freund überflüssigen Geredes. Seine breitschulterige Gestalt und die Selbstverständlichkeit, mit der er im Sattel saß, wiesen ihn als Befehlshaber aus, obwohl er denselben einfachen Harnisch wie alle anderen über seinem Lederwams trug und auf einen Helm verzichtet hatte.
Er spürte sehr wohl das leichte Zögern, mit dem seine Männer diesem Befehl nachkamen. Was an Gerüchten über Sainte Anne hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde, trug auch nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Aber er war seinem Herzog in Treue ergeben. Jean de Montfort würde seine Gründe dafür haben, dass er darauf bestand, die Ruinen noch einmal gründlich zu durchsuchen.
Sie ritten hintereinander unter dem zerstörten Torbogen hindurch und stiegen neben dem Ziehbrunnen aus dem Sattel. Das runde Dach, an dem normalerweise Eimer und Winde hingen, bestand nur noch aus angesengten Trümmern. Schwaden übel süßlicher Fäulnis stiegen ekelerregend aus der Finsternis. Die Zisterne war offensichtlich auch als Grab verwendet worden.
»Was erwartet Ihr. hier noch zu finden, Messire?«, wagte einer der Krieger zu fragen.
Jannik de Morvan hatte sich diese Frage längst selbst gestellt und abschlägig beantwortet. Er war ein unbestechlicher Kämpfer, der nur an das glaubte, was er mit eigenen Augen sah. Wer immer seinem Fürsten die Idee in den Kopf gepflanzt hatte, dass in diesem Kloster ein Schatz verborgen sei, musste einen schwachen Augenblick des mächtigen Mannes erwischt haben.
»Das werden wir sehen, wenn wir es finden!«, entgegnete er ruhig.
Die Soldaten beugten sich der Autorität dieses Kommandos. Besonders als sie sahen, dass er selbst seinen Teil an dieser Arbeit übernahm. Er betrat die Reste der Kirche, um die alle anderen einen abergläubischen Bogen machten. Ohnehin kein sehr prachtvolles Gotteshaus, glich es nun einem besonders schauerlichen Ort.
Allein das mächtige Steinkreuz über dem Altarblock hatte jedem Zerstörungsversuch widerstanden. Erstarrte Wachsflecken verrieten, wo einmal Kerzenleuchter gestanden hatten, und die schmutzigen Reste eines angesengten Altartuches mit zerfetztem Spitzensaum lagen zwischen herab gestürzten Balken und Schutt.
Der Ritter machte sich nicht die Mühe, die dunklen Flecken näher zu betrachten, die rund um diesen Ort auf Steinen und zerstörtem Maßwerk zu erkennen waren. Was er von Paskal Cocherel wusste, der sich selbst zum Herzog von Saint Cado ernannt hatte, ließ ihn nicht daran zweifeln, dass die frommen Frauen von Sainte Anne vor ihrem Tode geschändet und gefoltert worden waren. Die aberwitzige Jagd nach dem sagenhaften Kreuz von Ys hatte hier ihren traurigen Höhepunkt gefunden.
Wie jeder Bretone kannte auch der Seigneur de Morvan die Sagen um das urzeitliche Kreuz, das angeblich zusammen mit König Gradlon im Meer versunken war, als die Stadt von Ys unterging. Die Sterne von Armor schmückten das Wunderwerk. Eine makellose Perle, ein Jadestein, ein Saphir, ein Rubin und ein Diamant, die für Frömmigkeit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Güte und Stolz standen. Gemeinsam
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