Titan 02
Lebensstandard zu verbessern.« »Nein. Aber wenn wir sie zu Verstand bringen könnten, wenn wir etwas gegen ihre Massenpsychose unternehmen könnten…«
Mary schaute nicht sehr begeistert drein. »Gerade das kommt mir ziemlich unmöglich vor.«
Raymond schüttelte den Kopf. »Wir wollen das Problem einmal logisch durchdenken, Liebling. Es ist eine ernste Sache: Irgendeine Psychose läßt diese Eingeborenen sterben. Wir müssen sie jedoch am Leben erhalten, wenn sie selbst nicht mehr dazu fähig sind. Die einzige Lösung ist, die Psychose aufzuspüren und sie davon zu heilen.«
»Das klingt ja ganz vernünftig, aber wie um alles in der Welt sollen wir das anfangen?«
An einem Stück Ziegendarm kauend kam der Häuptling hinter einer Hütte hervorgestelzt. »Wir müssen mit dem Häuptling beginnen«, sagte Raymond.
»Du hast gut reden - wenn er mit sich beginnen läßt.«
»Salz«, sagte Raymond. »Für Salz würde er seiner eigenen Großmutter die Haut abziehen.«
Raymond ging zum Häuptling hinüber, der überrascht zu sein schien, daß die Besucher noch im Dorf waren. Mary hielt sich beobachtend im Hintergrund.
Raymond argumentierte heftig; der Häuptling blickte zuerst erschrocken, dann finster drein. Raymond erklärte, redete ihm gut zu. Dann kam er zu seinem Hauptargument: Salz - soviel der Häuptling den Berg herauftragen könne. Der Häuptling starrte aus der Höhe seiner zwei Meter auf Raymond hinunter, hob die Hände, ging fort, setzte sich auf einen Felsblock, kaute weiter an dem Darmstück. Raymond kam zu Mary zurück. »Er ist einverstanden.«
Direktor Birch empfing den Häuptling äußerst herzlich. »Welche Ehre für uns! Wir haben nicht oft so bedeutende Gäste. Ich hoffe, daß wir Ihnen binnen kürzester Zeit helfen können!«
Der Häuptling kratzte mit seinem Stab sinnlose Kurven in den Boden. Leise fragte er Raymond: »Wann bekomme ich das Salz?«
»Sehr bald. Aber zuerst mußt du mit Direktor Birch mitgehen.«
»Kommen Sie, mein Lieber«, sagte Direktor Birch. »Die Fahrt wird Ihnen gefallen.«
Der Häuptling drehte sich um und marschierte in Richtung Grande Montagne davon. »Nein, nein!« schrie Raymond. »Komm zurück!« Der Häuptling machte längere Schritte.
Raymond setzte ihm nach und packte ihn an den knochigen Beinen. Der Häuptling fiel der Länge nach hin. Direktor Birch gab ihm eine Beruhigungsspritze, und endlich wurde der taumelnde, stumpf dreinblickende Häuptling in den Ambulanzwagen geschoben.
Bruder Raymond und Schwester Mary sahen der davonrollenden Ambulanz nach. Staubwolken wirbelten auf, schwebten in dem grünlichen Sonnenlicht. Die Schatten schienen blaupurpurne Ränder zu haben.
»Ich hoffe von Herzen, daß wir das Richtige getan haben…«, sagte Mary mit einem Beben in der Stimme. »Der arme Häuptling sah so - so hilflos aus. Wie eine von seinen Ziegen, die zum Schlachten gefesselt wird.«
»Wir können nichts anderes tun, als das, was wir für richtig halten, Liebste«, sagte Raymond.
»Aber ist es für ihn am besten?«
Der Ambulanzwagen war nicht mehr zu sehen; die Staubschwaden hatten sich gelegt. Über der Grande Montagne zuckten Blitze aus schwarzgrünen Gewitterwolken. Die Sonne Faro stand wie ein Katzenauge im Zenit. Die Uhr, die zuverlässige, gute, genaue Uhr zeigte zwölf Uhr mittags.
»Das Beste«, sagte Mary nachdenklich. »Das ist immer nur relativ…«
»Wenn wir die Streuner von ihrer Psychose befreien können - wenn wir sie lehren können, ein sauberes, ordentliches Leben zu führen - dann ist das für sie doch wohl das Beste«, sagte Raymond. Einen Moment später ergänzte er: »Und für die Kolonie ist es ganz sicher das Beste.«
»Hoffen wir es«, seufzte Mary. »Der Häuptling hat nur so niedergeschlagen ausgesehen.«
»Wir werden ihn morgen besuchen«, schlug Raymond vor. »Jetzt haben wir vor allem Schlaf nötig!«
Als Raymond und Mary erwachten, sickerte rosiges Licht durch die geschlossenen Läden: Robundus, vielleicht auch Maude. »Schau auf die Uhr«, gähnte Mary. »Ist es Tag oder Nacht?«
Raymond richtete sich auf einen Ellbogen auf. Ihre Uhr war in eine Wand eingebaut, ein Gegenstück der Uhr auf der Segensklippe, die durch Radioimpulse alle anderen Uhren der Kolonie synchron steuerte.
»Es ist sechs Uhr nachmittags - zehn nach.«
Sie standen auf und legten frische weiße Kleidung an. Sie aßen etwas in der blitzsauberen kleinen Küche, dann rief Raymond das Sanatorium an.
Direktor Birchs Stimme drang munter aus dem
Weitere Kostenlose Bücher