Herzen in Flammen
1
Norwegen, 873 nach Christus
Dirk Gerhardsen ließ sich zu Boden fallen und kroch dann zu dem Fluss , an dem das goldblonde Mädchen Rast machte. Kristen Haardrad sah sich einmal um, als hätte sie ihn gehört, doch dann band sie ihren großen Hengst an und lief direkt ans Flussufer . Zu ihrer Linken strudelte der Horten Fjord flink dahin. Doch hier wurde die Strömung von einer Reihe von Felsblöcken in Schach gehalten, und das Wasser war ruhig und sachte, wie ein kleiner Teich. Dirk wuss te von früheren Erfahrungen, dass das Wasser zudem köstlich warm und zu einladend war, als dass ein Mädchen ihm hätte widerstehen können.
Er hatte ge wuss t, dass Kristen hierherkommen würde, als er gesehen hatte, dass sie das Haus ihres Onkels Hugh verließ und in diese Richtung ritt. Als sie noch jünger waren, wesentlich jünger, hatten sie häufig mit ihren Brüdern, Cousins und Cousinen zusammen hier gebadet. Kristen kam aus einer großen Familie: Sie hatte drei Brüder, einen Onkel, der diesseits des Fjordes der Jarl, der vom König eingesetzte Statthalter war, und Dutzende von entfernten Cousins und Cousinen väterlicherseits, und sie alle fanden, dieses eine Mädchen sei ihnen Sonne und Mond zugleich.
Dirk hatte das bis vor kurzem auch so gesehen. Er hatte sich ein Herz ge fass t und Kristen gebeten, ihn zu heiraten, wie es schon so viele andere vor ihm getan hatten. Sie hatte ihn abgewiesen - behutsam und freundlich, das muss te er missmutig zugeben, und doch war es eine nahezu vernichtende Enttäuschung. Er hatte mitangesehen, wie sie von einem großen, ungeschickten Mädchen zu einer majestätischen Frau von betörender Schönheit herangewachsen war, und es gab nichts, woran ihm soviel lag, wie daran, Kristen Haardrad sein eigen nennen zu können.
Dirk hielt den Atem an, als sie begann, ihr Leinengewand auszuziehen. Er hatte gehofft, dass sie es tun würde. Das war auch der Grund, weshalb er ihr gefolgt war, denn er hatte ge wuss t, dass es so kommen könnte, er hatte darauf gehofft, und - sollte Odin ihm beistehen - sie tat es. Der Anblick warf ihn fast um: die langen, wohlgeformten Beine ... die sachte Rundung ihrer Hüften ... der schmale, gerade Rücken, auf dem ein dicker strohblonder Zopf hing. Erst vor vierzehn Tagen hatte er diesen dicken Zopf in seiner Faust gehalten und sie zu einem Kuss gezwungen. Er hatte seinen Mund auf ihre Lippen ge press t, und dieser Kuss hatte sein Blut kochen lassen und ihn fast um den Verstand gebracht. Sie hatte ihm dafür eine kräftige Ohrfeige ver pass t, einen Schlag, der ihn ins Wanken gebracht hatte, denn Kristen war kein schwaches kleines Mädchen; sie war nur fünf Zentimeter kleiner als er, und er war doch immerhin einsachtzig. Das entmutigte ihn jedoch nicht. Damals hatte er einen Moment lang das Gefühl gehabt, wahrhaft den Verstand zu verlieren, wenn er sie nicht bekäme.
Es war ein Glück, dass Selig, Kristens großer Bruder, dazugekommen war, doch leider war er exakt in dem Moment erschienen, als Dirk Kristen wieder gepackt hatte und sie gewaltsam zu Boden zwang. Er und Selig trugen beide Verletzungen von diesem Zwischenfalldavon, und Dirk hatte in Selig einen guten Freund verloren - nicht etwa, weil sie sich gerauft hatten - denn die Nordländer waren jederzeit bereit, aus allen erdenklichen Gründen zu kämpfen sondern aufgrund dessen, was er Kristen anzutun versucht hatte. Er konnte auch wirklich nicht bestreiten, dass er sie an Ort und Stelle genommen hätte, im Stall ihres Vaters auf dem Fußboden. Wenn ihm das gelungen wäre, wäre er schon tot. Und er hätte nicht mit ihren Brüdern oder ihren Cousins kämpfen müssen, sondern mit ihrem Vater Garrick, der Dirk mit seinen bloßen Händen hätte umbringen können.
Kristens Körper war jetzt vom Wasser verborgen, doch der Umstand, dass Dirk sie nicht mehr von Kopf bis Fuß sehen konnte, ließ das Feuer nicht abkühlen, das durch seine Adern strömte. Er hätte nicht geglaubt, dass es so qualvoll sein würde, ihr beim Schwimmen zuzusehen. Er hatte sich lediglich gesagt, dass sie allein und fern von ihrer Familie sein würde und dass er sie jetzt unter Umständen das einzige Mal je wieder allein sehen konnte. Es waren Gerüchte im Umlauf, die besagten, sie solle in Kürze Sheldon heiraten, den ältesten Sohn Perrins. Perrin war der beste Freund ihres Vaters. Natürlich waren auch schon früher Gerüchte verlautet, und zwar schon zahllose Male, denn Kristen zählte schon neunzehn Lenze, und in den letzten
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