Titan 04
Warum hegte Dickie so plötzlich eine Abneigung gegen T‐Türen? Er hatte niemals Schwierigkeiten damit gehabt. Am Morgen war die Tür defekt gewesen, aber infolge dieses Zwischenfalls hätte er ihre Vorzüge eher noch viel mehr schätzen müssen. Dickie verhielt sich unvernünftig. Unvernünftig? Der Gedanke erinnerte sie an Miß Robbins und deren Diagnose, und in der Dunkelheit und Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers mahlten Mrs. Hanshaws Kiefer. Unsinn! Der Junge war durcheinander, und eine Nacht tiefen Schlafs war die einzige Therapie, deren er bedurfte.
Aber am nächsten Morgen war ihr Sohn, als sie sich erhob, schon aus dem Haus. Der Mekkano vermochte nicht zu sprechen, konnte jedoch Fragen beantworten, indem er mit seinen Tentakeln Äquivalente von Ja und Nein zum Ausdruck brachte, und Mrs. Hanshaw brauchte nicht länger als eine halbe Minute, um zweifelsfrei herauszufinden, daß der Junge dreißig Minuten früher als gewöhnlich aufgestanden war, eine dürftige Dusche genommen und dann eilig das Haus verlassen hatte.
Aber nicht durch die T‐Tür. Auf dem anderen Weg – durch die Tür. Mit einem T.
Um 15 Uhr 10 dieses Tages summte unaufdringlich Mrs. Hanshaws Visifon. Sie riet den Anrufer, und als sie den Receiver aktivierte, sah sie, daß sie richtig geraten hatte. Flüchtig blickte sie in den Spiegel, um sicherzugehen, daß sie nach einem Tag dunkler, ungewisser Sorge und Beklommenheit ruhig genug wirkte, und schaltete den eigenen Sender ein. »Ja, Miß Robbins?« grüßte sie die Lehrerin mit kühler Stimme.
Richards Lehrerin war ein bißchen außer Atem. »Mrs. Hanshaw, Richard hat die Schule durch den Notausgang verlassen«, berichtete sie, »obwohl ich ihn angewiesen habe, er solle, wie es üblich ist, die T‐Tür benutzen. Ich weiß nicht, wohin er gegangen ist.«
»Er hat den Heimweg angetreten«, antwortete Mrs. Hanshaw behutsam.
Miß Robbins wirkte bestürzt. »Billigen Sie sein Verhalten?«
Mrs. Hanshaw, deren Gesicht bleich war, entschloß sich, die Lehrerin in ihre Schranken zu verweisen. »Ich glaube nicht, daß es Ihnen zusteht, daran Kritik zu üben. Wenn es meinem Sohn gefällt, die T‐Tür nicht zu benutzen, ist das seine und meine Angelegenheit. Ich bezweifle, daß es irgendeine Schulvorschrift gibt, die ihm die Benutzung der T‐Tür zwingend auferlegt, oder?« Ihre Haltung verriet ziemlich deutlich, daß sie, gäbe es eine derartige Vorschrift, für deren Abschaffung eintreten würde.
Miß Robbins errötete und hatte gerade noch Zeit für eine rasche Bemerkung, bevor Mrs. Hanshaw die Verbindung trennte. »Ich würde ihn wirklich einmal psycho‐sondieren lassen«, empfahl sie.
Mrs. Hanshaw verharrte vor dem Quarziniumschirm und starrte die leere Fläche blindlings an. Ihr Familiensinn stellte sie für ein Weilchen fest entschlossen an Richards Seite. Warum sollt e er die T‐Tür benutzen, wenn er es nicht wünschte? Dann setzte sie sich, um zu warten, und ihr Stolz rang mit der peinigenden Sorge, daß mit Richard doch irgend etwas nicht stimmen könne.
Er kam mit trotziger Miene heim, aber seine Mutter empfing ihn, indem sie angestrengt alle Selbstbeherrschung aufwandte, ganz so, als sei gar nichts Außergewöhnliches geschehen.
Bei dieser Einstellung verblieb sie wochenlang. Es hat nichts zu bedeuten, sagte sie sich. Es ist nur eine Laune. Er wird sie sich mit der Zeit abgewöhnen.
Doch seine ›Laune‹ entwickelte sich zu einem nahezu normalen Zustand. Und dann sah sie Richard auch manchmal, bisweilen sogar drei Tage hintereinander, am Morgen, wenn sie zum Frühstück hinabging, verdrossen vor der T‐Tür warten, und er benutzte sie, sobald die Schule anfing. Sie verzichtete jedesmal auf eine Bemerkung dazu. Immer wenn er die T‐Tür nahm und dann sogar durch sie zurückkehrte, erwärmte sich ihr Herz, und sie dachte: So, nun ist es ausgestanden! Doch jedesmal nach Ablauf jenes einen Tags, jener zwei oder drei Tage, verfiel er wieder seiner merkwürdigen Gewohnheit wie ein Süchtiger seiner Droge und schlich sich, bevor sie sich vom Schlaf erhob, leise zur Tür hinaus – durch die mit nur einem T.
Und jedesmal dachte sie in ihrer Verzweiflung an Psychiater und Psychosonden, und jedesmal hielt die Vorstellung von Miß Robbins’ kleingeistiger Befriedigung, wenn sie davon erführe, sie zurück, obwohl sie sich dessen kaum bewußt war, daß darin der wahre Grund ihres Zögerns lag.
Unterdessen versuchte sie mit diesem Zustand zu leben und bestmöglichst damit
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