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Titan 04

Titan 04

Titel: Titan 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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nicht. Auf keinen Fall, nachdem diese Lehrerin vorsätzlich Zweifel an Richards geistiger Gesundheit geäußert hatte. Wie hätte sie unter solchen Umständen anrufen können?
    Mrs. Hanshaw wanderte ruhelos auf und nieder, entzündete mit zittrigen Fingern eine Zigarette, dann drückte sie sie aus. Konnte es sich nicht um etwas Harmloses handeln? Blieb Richard aus irgendeinem Grund länger in der Schule? Aber sicherlich hätte er sie doch vorher davon in Kenntnis gesetzt. Plötzlich glaubte sie einen Lichtblick zu erkennen; er wußte, daß sie nach New York wollte und vielleicht erst spät am Abend zurückkam… Nein, er hätte es ihr bestimmt gesagt. Sie durfte sich nichts vormachen.
    Ihr Stolz geriet ins Wanken. Sie würde die Schule anrufen müssen, womöglich sogar (sie schloß die Augen, und zwischen den Wimpern quollen Tränen hervor) die Polizei.
    Und als sie die Augen aufschlug, stand Richard vor ihr, den Blick zu Boden gesenkt, und seine ganze Haltung war die jemandes, der auf den Ausbruch eines Strafgerichts wartet. »Hallo, Mutter.«
    Mrs. Hanshaws Sorge verwandelte sich (auf eine Weise, worin nur Mütter sich auskennen) augenblicklich in Wut. »Woher kommst du, Richard?« Und dann, ehe sie die ganze ausgedehnte Geschichte über unvorsichtige, gedankenlose Söhne und die gebrochenen Herzen von Müttern auch nur anfangen konnte, bemerkte sie Einzelheiten seiner Erscheinung und keuchte in tiefstem Entsetzen. »Du warst im Freien«, sagte sie.
    Ihr Sohn schaute auf seine verschmutzten Schuhe hinab (ohne Flexies), dann betrachtete er die Dreckspritzer auf seinen Unterarmen und den kleinen, aber deutlich sichtbaren Riß in seinem Hemd. »Och, Mutter«, sagte er, »ich dachte bloß, ich…« Und verstummte.
    »War etwas nicht in Ordnung mit eurer T‐Tür in der Schule?« erkundigte sie sich.
    »Damit war nichts, Mutter.«
    »Begreifst du denn nicht, daß ich mich beinahe zu Tode gesorgt habe?« Sie wartete vergeblich auf eine Antwort. »Na, wir unterhalten uns noch, junger Mann. Zuerst einmal nimmst du ein Bad, und deine Kleidung wird fortgeworfen bis auf das letzte Fetzchen. Mekkano!« Aber der Mekkano hatte bei der Erwähnung des Bads bereits entsprechend reagiert und befand sich in seinem lautlosen Schwebeflug dorthin unterwegs. »Zieh deine Schuhe hier auf der Stelle aus«, befahl Mrs. Hanshaw, »und dann ab mit dir ins Bad zum Mekkano!«
    Mit einer Ergebenheit, die keinen Raum bot für weiteren Widerspruch, gehorchte Richard. Mrs. Hanshaw nahm die beschmutzten Schuhe zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ sie in den Müllschacht hinab zum Desintegrator fallen, der aufgrund der unerwarteten Belastung, scheinbar widerwillig, leise summte. Sorgsam säuberte sie ihre Finger mit einem Reinigungstuch und schickte es den Schuhen hinterdrein.
    Sie leistete Richard beim Abendessen keine Gesellschaft, sondern ließ ihn mit dem Mekkano essen, dessen Gesellschaft schlimmer war als gar keine. Darin sah sie ein unmißverständliches Zeichen ihres Unmuts, und sie war der Meinung, es würde ihm besser das Ausmaß seines Fehlverhaltens verdeutlichen als jede Strafe und alles Schimpfen. Richard, so versicherte sie sich gelegentlich, war ein empfindsamer Junge.
    Zur Bettzeit jedoch ging sie zu ihm hinauf. Sie sprach nachsichtig mit ihm und lächelte dabei. Das hielt sie für das beste Vorgehen. Immerhin hatte sie ihn ja schon bestraft.
    »Was ist denn heute nur geschehen, Dickielein?« wollte sie wissen. So hatte sie ihn genannt, als er noch ein Säugling war, und der bloße Klang des Kosenamens rührte sie beinahe zu Tränen.
    Er aber schaute zur Seite, und seine Stimme war kühl und voller Trotz. »Ich mag ganz einfach nicht durch diese blöden T‐Türen gehen, Mutter.«
    »Aber warum denn nicht?«
    Er streifte mit den Händen über die hauchdünne Bettdecke (frisch, sauber, antiseptisch und natürlich nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen). »Ich mag sie eben nicht«, sagte er.
    »Aber wie willst du dann zur Schule gelangen, Dickie?«
    »Ich stehe früher auf«, murmelte er.
    »Aber die T‐Türen sind doch keine schlechte Einrichtung.«
    »Ich kann sie nicht leiden.« Er sah sie kein einziges Mal an.
    »Oh, na gut, schlaf erst einmal darüber«, meinte sie ein wenig verzweifelt. »Morgen ist dir wieder besser zumute.«
    Sie küßte ihn und verließ sein Schlafzimmer; im Gehen hielt sie die Hand über die Fotozelle und löschte auf diese Weise die Beleuchtung. Aber in dieser Nacht fand sie selbst den Schlaf nur schwer.

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