Titan 11
»Was soll ich dir geben?
Ich habe nichts.«
Ich bewegte mich von ihm fort. Ich fühlte… ich weiß nicht, was ich fühlte. Nach einem Moment des Schweigens sagte ich: »Ich weiß es nicht.«
Er zuckte die Achseln und wandte sich ab. Ich sprang ihn fast an, zerrte ihn zurück. »Ich will von dir…« »Was, verdammt noch mal, was?«
Ich konnte ihn nicht ansehen, konnte kaum sprechen. »Ich weiß nicht. Da gibt es etwas, aber ich weiß nicht, was es ist. Es ist etwas… ich glaube nicht, daß ich es kenne.« Als er den Kopf schüttelte, faßte ich wieder seine Arme. »Du hast die Bücher aus meinem Kopf gelesen. Kannst du nicht die Gedanken lesen, die ich…?«
»Ich habe es noch nie versucht.« Er hielt mein Gesicht, kam näher. »Hier«, sagte er.
Seine Augen schickten wieder dieses fremde Bewußtsein in meinen Kopf, und ich schrie. Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien. Das hatte ich nicht gewollt, ganz sicher nicht. Ich glaube, er hob mich mit seinen großen Händen einfach in die Höhe. Er hielt mich in der Luft, bis er fertig war, und setzte mich dann ab. Ich fiel schluchzend zu Boden. Er setzte sich neben mich, versuchte aber nicht, mich zu berühren. Er versuchte auch nicht, fortzugehen. Schließlich beruhigte ich mich wieder und hockte wartend neben ihm.
»Verlange so etwas nie wieder von mir«, sagte er. Ich setzte mich auf und zog mein Kleid über die hochgezogenen Knie. Dann legte ich mein Kinn darauf, so daß ich sein Gesicht sehen konnte. »Was ist geschehen?« Er fluchte. »Verdammtes Durcheinander in dir. Dreiunddreißig Jahre alt – wofür lebst du so?« »Ich habe ein sehr bequemes Leben«, sagte ich pikiert. »Ja«, sagte er. »Seit zehn Jahren ganz allein bis auf jemanden, der dir die Arbeit tut. Sonst keiner.« »Männer sind Tiere, und Frauen…«
»Du haßt in Wirklichkeit die Frauen. Sie alle wissen etwas, was du nicht weißt.«
»Ich will es gar nicht wissen. Ich bin mit meinem Leben zufrieden.«
»Den Teufel bist du!«
Ich sagte nichts darauf. Solch eine Sprache schätze ich nicht.
»Du willst zwei Dinge von mir. Und keines ergibt einen Sinn.« Er blickte mich an, und zum ersten Mal sah ich wirkliche Gefühle in seinen Gesichtszügen: tiefe Verwunderung. »Du willst alles von mir wissen, woher ich komme, wieso ich zu dem wurde, was ich nun bin.«
»Ja, das möchte ich wissen. Was ist das andere, das du kennst und ich nicht?«
»Ich wurde irgendwo geboren und bin gewachsen wie irgendein Unkraut«, sagte er und ignorierte meine zweite Frage.
»Meine Leute gaben so wenig auf mich, daß sie mich nicht einmal in ein Waisenhaus steckten. Ich lebte eine Zeitlang bei ein paar anderen Leuten, versuchte es mit der Schule, aber sie gefiel mir nicht. Die Stadt war zu klein, um eine Spezialschule für Kinder meiner Art zu haben, zurückgeblieben, weißt du. Also lief ich einfach umher, so eine Art Ausbildung als Dorftrottel. Die hätte ich auch geschafft, wenn ich dortgeblieben wäre, aber statt dessen zog es mich in die Wälder.«
»Warum?«
Das fragte er sich auch, und schließlich sagte er: »Ich glaube, weil die Art, wie die Leute lebten, für mich keinen Sinn ergab. Ich sah genug Auf und Ab, Vor und Zurück, um zu wissen, daß man das Leben auf verschiedene Weisen leben kann, aber keine davon war etwas für mich. Hier draußen kann ich wachsen, wie ich will.«
»Und wie ist das?« fragte ich über eine dieser weiten Kluften hinweg, die sich zwischen uns immer wieder auftaten und überbrückt werden mußten.
»Das wollte ich aus deinen Büchern wissen.« »Das hast du mir nie gesagt.« »Du lernst, aber du denkst nicht«, sagte er zum zweiten Mal. »Da ist eine Art von… nun, von Person. Sie besteht aus verschiedenen Teilen, ist aber eins. Wie andere Menschen Hände, Beine, einen Mund und ein Gehirn haben. Das Gehirn dieser Person bin ich. Verdammt schwach, aber es ist das beste, das ich kenne.«
»Du bist verrückt.«
»Nein, das bin ich nicht«, sagte er in völligem Ernst, ohne dabei beleidigend zu wirken. »Ich habe schon den Teil, der die Aufgabe der Hände übernehmen soll. Ich kann sie lenken, und sie tun, was ich will, obwohl sie noch ziemlich jung sind und viel Mist bauen. Und ich habe den Teil, der spricht. Der ist echt gut.«
»Ich glaube kaum, daß du besonders gut sprichst«, sagte ich. Ich kann eine unkorrekte Sprache nicht ausstehen.
Er war überrascht. »Ich meine nicht mich! Sie ist unten bei den anderen.«
»Sie?«
»Der Teil, der spricht. Jetzt
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