Titan 23
eine Richtung wählte, bewegte Mason sich vorsichtig nach links. Gelegentlich unterbrachen Türen den Korridor, aber er versuchte gar nicht erst, sie zu öffnen, besorgt, er könne irgendeinen Bewohner der Stadt damit aufschrecken.
Aber er hatte keine Wahl. Aus der Ferne näherte sich das schwere Stampfen mechanischer Füße, und Mason vermutete, daß weitere Roboter im Kommen waren. Eine Biegung im Korridor verbarg sie seinen Blicken. Er zögerte. Vielleicht war der Herrscher von Al Bekr – wer auch immer die Metallmänner lenkte – gar kein Feind. Der Roboter hatte ihn eigentlich gar nicht angegriffen, er hatte nur versucht, ihn zu überwältigen und festzuhalten. Wenn er sich ihm friedlich ergeben hätte…
Aber als die Schritte immer näher kamen, überkam Mason eine Welle eisigen Schreckens und er öffnete impulsiv die nächste Türe und zwängte sich hindurch, schloß sie wieder hinter sich. Sein Blick suchte den Raum ab, während draußen die Roboter vorbeistapften. Und dann hätte Mason fast vor Staunen aufgeschrien, denn jetzt sah er zum erstenmal die Frau, die man Nirvor nannte – die Silberne Priesterin!
2. Kapitel
Die Frau aus dem Zeitstrom
Mason stand auf einem niedrigen Balkon, von dem aus eine Rampe zu einem weiten Raum mit einer niedrigen Decke hinunterführte, einen Raum, der irgendwie träge wirkte, und vom Duft eines moschusartigen Parfüms erfüllt war. Der Boden war mit Fellen und Teppichen bedeckt. Unter sich, in der Mitte des Saals, sah er einen Altar, niedrig und viereckig, von dem eine Flamme emporzüngelte. In kaltem, silbrigem Schein leuchtend, ließ sie ihren Widerschein flackernd über zwei riesige Bestien tanzen, die neben dem Altar standen – zwei Leoparden in katzenhafter Eleganz.
Ein Leopard aus poliertem Ebenholz…
Einer weiß wie die märchenumwobenen Elfenbeintore, durch die, wie es die Legende sagt, böse Träume aus der Höllenstadt Dis hereinströmen, um den Schlaf der Menschen zu quälen…
Zwei Leoparden, deren brillantgrüne Augen die Frau nicht losließen, die vor dem flammenden Altar kauerte, eine Frau, wie Mason sie noch nie zuvor gesehen hatte!
Sie war wie eine silberne Statue von zierlicher Gestalt, und eine schwarze Spitzenrobe betonte ihren schlanken Körper. Langes, ungebändigtes Haar von der Farbe des Mondsilbers schwebte über ihren elfenbeinfarbenen Schultern. Ihr Gesicht konnte Mason nicht erkennen; die Frau kniete vor dem Altar, und ihre Stimme flüsterte murmelnd wie Hexenmusik Worte in einer Sprache, die Mason völlig fremd war.
Und die blasse Flamme reckte sich flüsternd und kalt empor. Die Leoparden standen reglos, und die Stimme der Frau schwoll zu einem schrillen Diskant.
»Ohé, ohé!« Jetzt sprach sie die Sprache der Semiten, und Mason verstand ihre Worte. »Meine Stadt und mein Volk und mein Reich! Gestürzt und zerschlagen, und in den einsamen Straßen von Corinoor schreiten die Tiere des Waldes… ohé!« klagte die Frau, und das Haar flog um ihr Gesicht. Mit einer plötzlichen, wilden Geste sprang sie auf und riß sich das Gewand vom Körper. Einen Augenblick lang war ihre nackte Gestalt silhouettenhaft vor den milchigen Feuern zu sehen, und Mason hielt den Atem an, als er die liebliche Blöße der Frau sah, die schlanke Vollkommenheit ihrer Glieder und ihres Leibes, in nichts den herrlichen Götzenkörpern der Leoparden nachstehend. Dann kauerte sich die Frau in äußerster Selbsterniedrigung vor dem Altar nieder und streckte flehend die Hände aus.
»Bald, laß es bald sein!« schluchzte ihre Stimme. »Laß den Meister Erfolg haben und wieder Macht nach Corinoor bringen… dem toten und lieblichen Corinoor! Ich, Königin und Priesterin von Corinoor, erflehe dies von dir wie der niedrigste Sklave, nackt und erniedrigt… Selene, mächtige Selene, wende dein Gesicht wieder meinem Volk zu!«
Schweigen, und das weiche Flüstern der Mondfeuer. Die Leoparden waren reglos wie Statuen, und ihre grünen Augen ruhten rätselhaft auf der Frau.
Mason spürte, wie ein seltsames Gefühl der Kälte ihn erfaßte. Wieder fiel der Schatten dieser verwunschenen Stadt auf ihn. Er machte eine schnelle, unwillkürliche Bewegung; einer der Leoparden knurrte, sprang auf. Der weiße Leopard blieb reglos, aber der schwarze schob sich vor, die Augen starr auf Mason gerichtet. Und an jenen Augen war etwas beunruhigend Fremdartiges, erkannte er – eine Intelligenz, die weit über das hinausging, was man einem Tier zubilligen konnte.
Die Frau
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