Titan-4
Jahrhundertelang gab es Psychiater, bevor es Sonden gab. Ich schlage vor, Sie lassen mich mit dem Jungen sprechen.«
»Mit ihm sprechen? Ist das alles?«
»Ich werde mich um Hintergrundinformationen an Sie wenden, falls erforderlich, doch am wesentlichsten ist es, glaube ich, daß ich mich mit dem Jungen unterhalte.«
»Ehrlich gesagt, Dr. Sloane, ich bezweifle, daß er mit Ihnen über diese Angelegenheit diskutieren wird. Er spricht nicht einmal mit mir darüber, und ich bin seine Mutter.«
»So verhält es sich häufig«, versicherte ihr der Psychiater. »Ein Kind spricht bisweilen bereitwilliger mit einem Fremden. Wie auch immer, ich kann den Fall unter anderen Voraussetzungen nicht übernehmen.«
Mrs. Hanshaw erhob sich, nicht eben sonderlich zufrieden. »Wann können Sie kommen, Doktor?«
»Wie wäre es am nächsten Samstag? Der Junge braucht an diesem Tag nicht in die Schule. Oder sind Sie beschäftigt?«
»Wir richten uns auf Ihre Visite ein.«
Würdevoll verabschiedete sie sich. Dr. Sloane geleitete sie durch den kleinen Empfangsraum zur T-Tür seiner Praxis und wartete, während sie die Koordinaten ihres Hauses einstellte. Er sah zu, wie sie durch die T-Tür trat. Sie verwandelte sich in eine Halb-Frau, eine Viertel-Frau, einen einzelnen Ellbogen und einen einzelnen Fuß, dann in Nichts.
Es war ein furchteinflößender Anblick. Kam es jemals inmitten einer Transmittierung zum Defekt einer T-Tür, so daß hier ein halber Körper zurückblieb und ein halber dort? Er hatte noch nie von einem derartigen Zwischenfall gehört, aber er vermochte sich vorzustellen, daß es geschehen konnte.
Er kehrte zurück an seinen Schreibtisch und sah seinem nächsten Termin entgegen. Deutlich hatte er bemerkt, daß Mrs. Hanshaw Ärger und Enttäuschung empfand, weil er auf eine Psychosondierung verzichtete. Warum nur, um Gottes willen? Wieso besaß ein solches Ding wie die Psychosonde, nach seiner Auffassung eindeutig ein Machwerk der Quacksalberei, in der breiten Öffentlichkeit ein solches Ansehen? Diese Erscheinung mußte ein Bestandteil der allgemeinen Tendenz zur Maschinisierung sein. Was ein Mensch auch vermag, Maschinen können es besser! Maschinen! Immer mehr Maschinen! Maschinen für alles und jedes! Otempora! Omores!
Ach, zum Teufel! Seine Feindseligkeit gegen die Sonde beunruhigte ihn allmählich. Hegte er eine geheime Furcht vor technologisch bedingter Erwerbslosigkeit, war es eine grundsätzliche innere Unsicherheit seinerseits, eine Mechanophobie, wenn man es so nennen wollte…?
Er nahm sich vor, dies Problem mit seinem eigenen Psychoanalytiker zu besprechen.
Dr. Sloane mußte sehr einfühlsam vorgehen. Bei dem Knaben handelte es sich nicht um einen Patienten, der zu ihm kam, der ein mehr oder weniger starkes Bedürfnis verspürte, sich anzuvertrauen, der mehr oder weniger ausdrücklich Hilfe erstrebte. Unter den gegebenen Umständen wäre es am besten gewesen, sein erstes Zusammentreffen mit Richard kurz und unverbindlich zu gestalten, ausschließlich zu dem Zweck, sich ihm bekanntzumachen, damit er ihm nicht länger ein völlig Fremder sei; bei der zweiten Begegnung wäre er jemand gewesen, den Richard schon einmal gesehen hatte; bei der dritten ein Bekannter, und dann ein Freund der Familie.
Unglücklicherweise mußte er es als unwahrscheinlich betrachten, daß Mrs. Hanshaw ein so ausgedehntes Vortasten billigte. Sie würde nach jemandem suchen, der zum Einsatz der Sonde neigte und natürlich auch finden. Und dem Jungen damit Schaden zufügen. Dessen war er sicher. Aus diesem Grund sah er sich gehalten, ein wenig von der gewohnten Vorsicht abzulegen und eine kleine Krise zu riskieren.
Unbehagliche zehn Minuten waren verstrichen, als er sich endgültig dafür entschied. Mrs. Hanshaw lächelte mit ziemlicher Strenge und musterte ihn verstohlen aus schmalen Lidern, als erwarte sie, daß er mit Worten Wunder vollbringe. Richard wand sich auf seinem Platz, Dr. Sloanes forschenden Bemerkungen unzugänglich, überwältigt von Langeweile und außerstande, sie zu verbergen.
»Würdest du gerne einen Spaziergang mit mir machen, Richard?« fragte Dr. Sloane mit vorsätzlicher Plötzlichkeit.
Die Augen des Knaben weiteten sich, und er saß auf einmal ruhig. Er sah Dr. Sloane direkt an. »Einen Spaziergang, Sir?«
»Draußen, meine ich.«
»Sie gehen… hinaus?«
»Manchmal. Wenn ich Lust dazu habe.«
Richard stand nun auf den Beinen und rang insgeheim mit dem Eifer, der in seinem Innern glühte,
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