Titan-4
worden. Der Distrikt war der erste, der wohlhabendste, der berühmteste; er brauchte keine Fabriken, keine Kaufhäuser. Er brauchte nicht einmal Straßen. Jedes Haus war eine kleine abgekapselte Festung mit einer T-Tür, die überall in der ganzen Welt Zutritt verschaffte, wo es andere T-Türen gab.
Gewissenhaft prüfte sie die aufgeschlüsselte Liste der fünftausend im Distrikt A 3 wohnhaften Familien. Sie wußte, daß mehrere Psychiater zu den Einwohnern zählten. Bei dieser Gelegenheit stellte sie fest, daß Angehörige aller Berufe im Distrikt A 3 gut vertreten waren. Der zweite Name eines Psychiaters, auf den sie stieß, lautete Dr. Hamilton Sloane, und ihr Finger verharrte darauf. Seine Praxis lag kaum zwei Meilen vom Wohnsitz der Hanshaws entfernt. Die Tatsache, daß er in A 3 wohnte, sprach sehr für ihn. Außerdem gefiel ihr der Name. Und er war ein Nachbar, praktisch ein Nachbar. Er würde begreifen, daß es sich um einen Fall von großer Dringlichkeit handelte – und der Vertraulichkeit.
Entschlossen wählte sie die Nummer seiner Praxis, um einen Termin zu verabreden.
Dr. Hamilton Sloane war ein vergleichsweise junger Mann, noch keine vierzig Jahre alt. Er stammte aus einer angesehenen Familie und hatte in der Tat bereits von Mrs. Hanshaw vernommen.
Er hörte ihr ruhig zu. »Und all das hat mit dem Defekt der T-Tür begonnen?« vergewisserte er sich dann.
»Genau, Doktor.«
»Zeigt er irgendwelche Furcht vor T-Türen?«
»Natürlich nicht.« Sie war schlichtweg verblüfft. »Was für ein Gedanke!«
»So etwas ist im Bereich des Möglichen, Mrs. Hanshaw, das ist möglich. Wenn man sich einmal vergegenwärtigt, wie eine T-Tür funktioniert, ist sie eigentlich eine wirklich furchterregende Einrichtung. Man tritt hinein, und für einen Moment verwandeln die Atome des Körpers sich in Feldenergien, sie werden an einen anderen Ort des Raums übermittelt und fügen sich dort wieder zu Materie zusammen. In diesem winzigen Moment lebt man nicht.«
»Sicherlich beschäftigt sich doch niemand mit solchen Überlegungen.«
»Ihr Sohn könnte es tun. Er war Zeuge des Defekts der T-Tür. Vielleicht denkt er: Wenn sie nun defekt wird, wenn ich gerade zur Hälfte durch bin?«
»Aber das ist Unsinn. Er benutzt die T-Tür ja nach wie vor. Er war sogar mit mir in Kanton, Kanton in China. Und wie ich schon gesagt habe, ein- oder zweimal in der Woche geht er auch damit zur Schule.«
»Freiwillig? Gerne?«
»Nun, es scheint ihn ein wenig zu verstimmen«, antwortete Mrs. Hanshaw nach kurzem Zögern. »Aber es ist doch sinnlos, daß wir uns über so etwas unterhalten, Doktor, oder? Wenn Sie ihn rasch mit einer Sonde untersuchen, um festzustellen, woher diese Unannehmlichkeit rührt, ja, dann wäre doch alles erledigt.« Sie schloß in zuversichtlichem Tonfall. »Ich bin davon überzeugt, daß nur eine geringfügige Sache vorliegt.«
Dr. Sloane seufzte. Er verabscheute das Wort ›Sonde‹, und dabei kam ihm kaum eins häufiger zu Ohren. »Mrs. Hanshaw«, sagte er geduldig, »so etwas wie eine Schnellsondierung gibt es leider nicht. Ich weiß, daß die Magazine voll davon sind, und in manchen Kreisen gelten sie als modern, aber man überschätzt die Psychosonden außerordentlich.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Vollständig. Eine Sonde ist ein kompliziertes Gerät, und man hat sie aufgrund der Theorie entwickelt, daß man mentale Ströme anmessen und verfolgen könne. Die Gehirnzellen sind auf die vielfältigste Weise miteinander verbunden, müssen Sie bedenken, und manche dieser Verbindungen unterliegen einer stärkeren Benutzung als die anderen. Sie leiten Gedankenmuster, solche sowohl von bewußten als auch unbewußten Gedanken. Die Theorie besagt, daß man anhand dieser Verbindungswege geistige Erkrankungen früh und mit Treffsicherheit diagnostizieren kann.«
»Na also. Warum wollen Sie die Sonde dann nicht einsetzen?«
»Die Untersuchung mit der Sonde ist ein höchst beängstigender Vorgang, besonders für ein Kind. Sie bedeutet eine traumatische Erfahrung. Sie dauert länger als eine Stunde. Und dann muß man die Resultate erst zwecks Analyse zum Zentralen Psychoanalytischen Labor senden, und bis zur Erstellung der Analyse können Wochen vergehen. Und obendrein, Mrs. Hanshaw, gibt es zahlreiche Psychiater, die die Methode der Sondenanalyse für äußerst unzuverlässig halten.«
Mrs. Hanshaw preßte die Lippen aufeinander. »Sie meinen, man kann nichts tun?«
Dr. Sloane lächelte.
»Keineswegs.
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