Tochter der Nacht
selbst. Tamino wünschte, wieder im Reich seines Vaters zu sein. Wäre er doch nie in diese teuflische Welt mit ihren magischen Kräften gekommen! Auch er geriet nun in ihren Bann.
Was war aus ihm geworden? Wäre er bald nicht besser als Monostatos?
Tamino hatte sich diese Zauberkräfte nie gewünscht. In seinen Augen konnten sie nur etwas Schlechtes sein. Man hatte sie ihm unaufgefordert und ungewollt verliehen. Er erinnerte sich an Sarastros Worte und an die Mahnung des Priesters, und sie erschienen ihm wie bittere Ironie: Man verlangt von Euch nur, jederzeit im Sinne der guten Seiten Eures Wesens zu handeln.
War dies also die gute Seite seines Wesens, mit der er das Feuer herabrief, um seinen Feind zu verbrennen, wie dieser es mit ihm versucht hatte? Ein erschreckendes Rätsel!
Sein nasses Gewand hing schwer an ihm, so schwer wie damals im Meer, ehe die Delphin-Halblinge ihn davon befreit hatten. Mühsam schleppte sich Tamino an das Ufer, setzte sich ins Gras und zog sein Gewand aus. Einen Augenblick lang ließ er die Finger auf der Kordel an seiner Hüfte ruhen.
Es war noch nicht lange her – doch wie weit schien es zurück-zuliegen –, daß Pamina spielerisch den Knoten gelöst hatte.
Damit hatte alles begonnen.
Nein, um gerecht zu sein, es begann damit, als sein Verlangen nach ihr erwachte. Fluch über diese Prüfungen, die das Begehren eines Mannes erweckten und ihn dafür bestraften, wenn er ihm nachgab! Wie ungerecht das ist, dachte er. Es war so ungerecht wie alles, was ihm in Sarastros Reich zuge-stoßen war.
Tamino löste den nassen Gürtel. Wasser und Feuer hatten alle Erinnerungen gelöscht und ausgebrannt. Er konnte nur noch an dieses Verlangen denken. Würde er je wieder sinnliches Begehren empfinden, ohne an das Entsetzliche zu denken, das sie getrennt hatte? An der Kordel hing die Zauberflöte.
Tamino betrachtete sie bitter. Sollte er sie wieder spielen und die magischen Boten noch einmal um Hilfe bitten? Er hatte es satt, herumkommandiert zu werden. Er wollte einmal wieder nach eigenem Willen und Gutdünken handeln. Der Priester hatte ihm erklärt, in den Prüfungen von Luft und Wasser habe er lernen müssen, daß er nicht immer befehlen konnte.
Würde er nie mehr befehlen? Tamino legte die Flöte ins Gras und breitete sein Gewand zum Trocknen aus.
Woher kam das Gras? Sie waren in einer Sandwüste gewesen, und nun umgab ihn dichter Regenwald wie damals, als er der Otter-Frau zum ersten Mal begegnet war. Der Halbling lag noch immer im Wasser. Tamino sah nur ihre Augen und das glatte dunkle Haar, aber unter ihrem eindringlichen Blick wurde ihm leicht unbehaglich.
Wie konnte sie es überhaupt wagen, ihn so anzustarren? Er war ein Mann. In den letzten Tagen hatten ihn genug Halblinge angestarrt. Der hinterhältige und arrogante Monostatos hatte sogar gewagt, unter Einsatz von Zauberkräften ihn im Kampf mit feurigen Peitschen zu schlagen. Tamino wollte dieses Duell nicht, aber Monostatos hatte ihn gezwungen, sich auf gleiche Weise zu wehren. Unter den Blicken der Otter-Frau fühlte er sich beschmutzt, mißbraucht, verletzt und nackt.
Tamino fragte sie grob: »Warum starrst du mich so an?«
Schnell tauchte sie unter, und angesichts ihrer Angst stiegen häßliche Gedanken in ihm auf. Diese Halblinge führten ihn ständig an der Nase herum; sie schikanierten ihn; Monostatos peitschte ihn mit Feuer; die Delphin-Halblinge hatten ihn gezwungen, nachzugeben und sich zu demütigen… aber er war ein Mann und hatte genug davon, sich von diesen Halb-Menschen quälen zu lassen. Tamino griff zur Flöte und blies einen Ton.
Die Zauberflöte besitzt Macht über die Halblinge. Ich kann sie zwingen, zu mir zu kommen, dachte er. Vielleicht bestand die Prüfung nur darin? Alle schienen sich gegen ihn zu verschwören, um ihn seiner Männlichkeit, seiner Macht, seines Willens und seines sinnlichen Verlangens zu berauben. Also sollte er Entschlossenheit zeigen. Jetzt mußte er sich behaupten und die Macht des Menschen über den Halbling demon-strieren. Dann konnte er wirklich beweisen, daß er auch das letzte Element beherrschte, das Feuer, die Lust, die in seinem Körper brannte.
Tamino blies noch einmal zögernd in die Flöte, und dann ein drittes Mal. Und während die einzelnen Töne zu einer Melodie verschmolzen, kroch die Otterfrau langsam aus dem Wasser, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Weshalb sah sie ihn so an? Sie gehörte zu den elenden Halblingen und würde ihn wie Monostatos angreifen,
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