Tochter der Nacht
wenn er sie nicht mit der Flöte beherrschte. Tamino spielte weiter, während sie langsam und offensichtlich widerstrebend über das Gras kroch. Sie war nackt. Gut. Dann bezahlte sie eben für seine Demütigung bei den Delphin-Halblingen. Abwartend lag sie vor ihm auf dem Rücken. Sie hatte nicht ganz den Körper einer Frau, doch sie war ein weibliches Wesen, und Lust stieg in Tamino auf. Es kümmerte ihn nicht, daß sie ein Halbling war. Das Feuer brannte in ihm, das rasende Feuer der Lust.
Und sie war nicht Pamina…
Pamina! Um Pamina zu schützen, war er bereit gewesen, die Flöte zu spielen und die Halblinge zum Gehorsam zu zwingen. Doch selbst das war verboten gewesen. Und nun wollte er die Zauberflöte zur Befriedigung seiner Lust mißbrauchen? Mit einem verzweifelten Aufschrei warf Tamino die Flöte in das Gras und verbarg sein Gesicht in den Händen.
Was hatte er getan, um am Ende so zu versagen? Die Otter-Frau lag noch immer stumm ausgestreckt auf dem Rücken. In ihren Augen stand Angst. Ohne sich umzudrehen, bedeutete er ihr zu gehen und murmelte: »Ich werde dir nichts tun.
Geh, geh…« Er erinnerte sich, wie die Delphin-Wesen mitihm gesprochen hatten und fügte hinzu: »Geh, Schwester.«
Tamino starrte, von Grauen gepackt, auf die Flöte. Wozu hätte sie ihn fast verleitet? Man hatte ihm gesagt, sie sei eine mächtige Zauberwaffe. Sie hatte sich gegen ihn gerichtet und ihn beinahe ins Verderben gestürzt. Wenn Tamino sich nicht gefürchtet hätte, sie anzufassen, hätte er sie in diesem Augenblick in den Teich geworfen.
Sein blutiges und zerfetztes Gewand lag noch feucht im Gras. Trotzdem zog er es mühsam wieder an. Wie verletzlich und erniedrigt er sich doch in seiner Nacktheit vorgekommen war! Tamino sah, wie die Otter-Frau ihn vom anderen Ufer mißtrauisch beäugte. Er konnte ihr keinen Vorwurf machen – und traute sich selbst nicht mehr. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so geschämt und so elend gefühlt. Unbeholfen band er sich das dreifarbige Band um die Hüfte, diesen Gürtel, den er nicht verdiente…
Die Wunde an seiner Hand klopfte noch immer, aber das kalte Wasser hatte zumindest die Schmerzen der Peitschenhiebe etwas gelindert. Tamino legte das Schwert wieder um. Immerhin hatte er diese Waffe nicht so entehrt wie die Flöte. Er sah sie an und überlegte, ob sie ihm Pamina zurückbringen würde. Früher hatte ihnen die Zauberflöte geholfen, aber damals hatte er das Vertrauen noch nicht so schwer enttäuscht, das man in ihn setzte. Wenn er es nur über sich bringen würde, die Flöte zu spielen und die Zauberboten zu bitten, Pamina zurückzubringen. Wenn er doch nur Papagenos Arglosigkeit besäße!
Tamino lag im Gras am Wasser und machte sich heftige Vorwürfe. Die Zeit verging, und er hörte, wie die Kinder der Otter-Frau sorglos im Teich spielten und quiekten. Er erinnerte sich an die Otter-Halblinge, die ihn im Palast der Sternenkönigin im Bad bedient hatten. Wie lange schien das her zu sein? Tamino kam es vor, als sei er damals noch ein großes Kind gewesen.
So viele Prüfungen hatte er bestanden, nur um am Ende zu versagen, im Bereich der Erde, über die er einmal siegte?
Stolz und Selbstsicherheit hatten ihn zu Fall gebracht. Konnte er deshalb Pamina nicht an seine Seite rufen, selbst mit Kräften des Zaubers nicht?
Lange blieb Tamino reglos in der brennenden Sonne im Gras liegen, bis schließlich ein Schatten über ihn fiel. War Monostatos zurückgekehrt, um ihn von neuem zu verhöhnen?
Tamino öffnete die Augen und sah die Sternenkönigin vor sich.
Doch es fehlten ihr die Majestät, die Größe, der Donner und die funkelnden Sterne. Vor ihm stand eine kleine, gebeugte, alternde Frau in einem weichen grauen Mantel von der Farbe einer Regenwolke. Ein Schleier lag über dem ergrauten Haar.
Erschrocken stand Tamino auf, wich zurück und verbeugte sich vor ihr.
»Fürchtet Ihr mich, mein Sohn?« fragte sie vorwurfsvoll.
Tamino wußte nicht, was er antworten sollte. Es entstand ein langes Schweigen.
»Ihr habt mich also verraten«, erklärte sie. »Habe ich Euch nicht gebeten, meine Tochter Pamina zu befreien? Und habt Ihr mir nicht geschworen, das unter Einsatz Eures Lebens zu tun?«
»Gewiß«, erwiderte Tamino und brachte das Wort kaum über die Lippen.
»Ich habe Euch vertraut, mein Freund. Hatte ich nicht allen Grund, in Euch einen treuen Freund zu sehen, Prinz Tamino?«
Was konnte er darauf antworten? Er hatte es wirklich versprochen. Aber er war zu dem
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