Tochter des Glueck
das Land wanden wie Schlangen. Auch der Reiz von Elend, Schmutz und Armut hat sich mir nie erschlossen. Jetzt versetzt mir das Ländliche einen weiteren schweren Schlag.
Joy kommt nach draußen, um mich zu suchen. Ihre Wangen sind gerötet, sie strahlt Triumph und Freude aus. Die Worte entströmen ihrem Mund wie blubbernde Luftblasen. »Mom, möchtest du nicht reinkommen zu allen anderen?«
Meine Tochter und ich sind wirklich wie yin und yang – die eine düster, traurig und verschlossen, die andere strahlend, glücklich und offen für ihr neues Leben. Aber ganz egal, wie sehr mich das Geschehen auch getroffen hat, ich liebe sie immer noch.
»Natürlich möchte ich mitfeiern«, sage ich. »Ich wollte nur kurz die schöne Nacht genießen. Schau dir das an, Joy. Der Himmel, der Mond, die Glühwürmchen. Behalte es immer in Erinnerung.«
Joy umarmt mich. Ich drücke sie fest, präge mir die Wärme ihres Körpers, ihren Herzschlag, den Druck ihrer jungen Brüste ein. »Ich weiß, ich war nicht immer die Mutter, die du dir gewünscht hast …«
»Das darfst du nicht sagen …«
»Und ich weiß, ich bin mit dieser Situation nicht gut umgegangen, aber du musst wissen, ich wollte immer nur, dass du glücklich bist.«
»Ach, Mom.« Sie umarmt mich noch einmal.
Ich sollte Joy sagen, was sie in der Hochzeitsnacht erwartet, doch mir bleibt gerade noch Zeit, ihr zuzuflüstern: »Erweise denjenigen, die du am wenigsten magst, die größtmögliche Freundlichkeit. Wenn du freundlich zu deiner Schwiegermutter bist, die wie alle Frauen dazu erzogen wurde, ihre Schwiegertochter zu hassen, schaffst du eine Verpflichtung, die sie nie vergelten kann.«
Joy befreit sich von mir und sieht mich überrascht an. Ich ziehe sie wieder zu mir. »Denk auch daran, was du in der Kirche gelernt hast. Ganz egal, was du empfindest oder wie verzweifelt du bist, du musst immer auf der Seite der Moral bleiben. Wenn du das tust, wird Gott über dich wachen.«
Leute kommen aus dem Haus, sie wollen die Braut holen und ziehen sie mit sich. Ich folge ihnen, denn ich möchte der Braut eine richtige Mutter sein, ganz egal, was ich im Inneren fühle oder welche Erinnerungen diese Hütte in mir wachruft. Jie Jie, Taos vierzehnjährige Schwester, hängt rote Zweizeiler vor die Tür des Raums, der für diese Nacht die Hochzeitskammer sein wird. Auf einer Seite steht: LIEDER FLIEGEN DURCH DIE LUFT . Auf der anderen Seite heißt es: GLÜCK ERFÜLLT DEN RAUM . Die Leute überreichen Geschenke. Einige haben auf den umliegenden Hügeln rote Azaleen gepflückt. Andere schenken Päckchen mit Tee, der auf den Hängen des Gründrachendorfs gewachsen ist, ein Glas mit eingelegtem Gemüse, ein Stück bestickten Stoff. Brigadeführer Lai überreicht ein Geschenk der Volkskommune Löwenzahn Nummer acht: dreißig Meter Baumwollstoff, aus dem Joy Hochzeitsdecken machen kann.
»Wenn eure Kinder geboren werden, bekommt ihr noch einmal vier Meter«, verkündet er.
Yong schenkt der Braut und dem Bräutigam einen Wecker der Marke Goldener Hahn. Tao und Joy werden keinen Wecker brauchen, nicht mit dem Lautsprecher und all den kleinen Kindern hier im Haus, aber das Geschenk ist gleichzeitig großzügig und geheimnisvoll. Wo hat Yong den her? Stammt er noch aus glücklicheren Zeiten mit ihrem Ehemann?
Es wird Zeit, die Brautkammer zu betreten. Der Raum wurde mit roten Papierfiguren geschmückt: Karpfen für Harmonie und Eheglück, Orchideen für zahlreiche Nachkommen und die Überlegenheit des Mannes, Pfirsiche für Ehe und Unsterblichkeit. Als Ausgleich dafür wurde ein Zweizeiler über das eine Gitterfenster geklebt: DURCH DIE GLEICHHEIT VON MANN UND FRAU GEHT DIE ARBEIT GUT VORAN . FREIE EHEN SIND GLÜCKLICHE EHEN . Ein weiteres Blatt rotes Papier wurde über das Podest geklebt, das dieser Familie als Bett dient. Früher hätte man das Zeichen für Doppeltes Glück auf das Papier gemalt. Z. G. hat stattdessen in seiner eleganten Kalligrafie etwas Zeitgemäßes daraufgeschrieben: DIE MANDARINENTE UND IHR GEFÄHRTE SCHWIMMEN IM OZEAN DER REVOLUTION . VERHEIRATETE PAARE SIND GENOSSEN .
Zwei rote Kerzen flackern, ihre Schatten tanzen an den Wänden. Ein paar junge Männer halten Reden, samt den üblichen anzüglichen Bemerkungen über Taos Fähigkeiten im Bett und das Erröten der Braut. Niemand bittet mich oder Z. G., etwas zu sagen, aber Kumei wendet sich mit ihrer üblichen Fröhlichkeit an die Versammlung.
»Was mochten wir an Hochzeiten? Wir feierten Hochzeiten, um am
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