Tochter des Glueck
Hälfte des Hügels auf der anderen Seite hinuntergegangen sind, werfe ich einen Blick zurück. Ich rechne damit, dass meine Tochter noch da steht, aber sie ist bereits auf dem Weg zu ihrem Mann und ihrem neuen Leben.
Z. G. geht weiter. Er trägt schwer an dem Koffer und diversen anderen Beuteln. Die Malutensilien und all die Plakate, die in der Kommune gemalt wurden, sind bereits früher am Morgen mit einer Karawane von Schubkarren vorausgeschickt worden. Ja, ich bin hin- und hergerissen zwischen meiner Tochter und der Möglichkeit, die nächsten paar Wochen alleine mit Z. G. zu verbringen, aber letztlich fällt mir die Entscheidung nicht schwer.
»Z. G.«, rufe ich. Er bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Ich setze meinen Koffer ab und laufe zu ihm. »Ich bleibe hier.« Auch er stellt sein Gepäck ab und scheint sich auf eine Diskussion gefasst zu machen. »Ich kann Joy nicht allein lassen«, fahre ich rasch fort. »Ich habe einen so weiten Weg gemacht, und ich liebe sie zu sehr.«
Er betrachtet mich mit klarem Blick. Er mag zwar nicht der beste Vater sein oder die besten Ratschläge geben, doch ich habe in den letzten fünf Monaten erkannt, dass er sich Joy verbunden fühlt.
»Ich würde gerne hier bei euch bleiben«, sagt er schließlich. »Aber dafür ist mein Status zu unsicher.«
»Du musst das nicht erklären. Heute Hund, morgen Katze«, zitiere ich sein Dienstmädchen von dem Tag, als ich in Shanghai ankam. Der Erfolg, den er mit dem Neujahrsplakat und seinen neuesten Mao-Porträts hatte, konnte ihm aus seinen politischen Schwierigkeiten heraushelfen, doch das könnte sich jederzeit aus einer Laune heraus wieder ändern.
»Ich komme in drei Monaten wieder und hole euch für die Messe in Kanton ab. Ich habe meine guan-hsi eingesetzt, um die Erlaubnis zu erhalten, dich und Joy mitzubringen. Joy wird wahrscheinlich nicht mitwollen. Sie kann es auch gar nicht, weil sie aufs Land geheiratet hat. Doch du wirst mich auf die Messe begleiten müssen.«
Ansonsten bekommt er wieder Schwierigkeiten.
»Ich verstehe«, sage ich, »aber vielleicht will ich dann gar nicht mehr weg.«
»Das sagst du jetzt, doch bis dahin wirst du wissen, ob Joy glücklich ist. Wenn sie dir das zeigen kann, wirst du mit mir kommen können.«
Zum ersten Mal empfinde ich so etwas wie Bewunderung für Z. G. Er hat endlich angefangen zu verstehen, was für eine Frau ich bin. Er legt mir die Hände auf die Oberarme und drückt sie. Er blickt mir fest in die Augen. Ich halte seinem Blick stand.
»Pearl.«
»Ja?«
»Du bist eine gute Mutter. Ich kann dir nie genug dafür danken.«
Er lässt meine Arme los, nimmt seine Taschen und geht weiter auf dem Weg zur Straße, wo er dann in den Bus steigen wird. Ich sehe ihm noch ein bisschen nach, drehe mich um, gehe zurück zu meinem Koffer und weiter ins Gründrachendorf.
T EIL DREI Der Hund lacht
P EARL
Ein lächelndes Gesicht
B oing, boing, boing, boing.
Ich drehe mich auf die Seite und ziehe mir das Kissen über den Kopf. Wieder hatte ich eine unruhige Nacht, wurde mehrmals wach, als jemand zwischen den zum Hofhaus gehörenden Gebäuden herumstrich. Ein bisschen mehr Schlaf würde mir guttun.
Boing, boing, boing, boing.
Es hat keinen Sinn. Aus dem Lautsprecher kam noch nicht mal der Weckruf, aber die Ausrottung der vier Plagen – Spatzen, Ratten, Insekten und Fliegen (die aus irgendeinem Grund eine eigene Kategorie bilden) – ist nichts für Faulpelze. Die schlimmste Plage sind die Spatzen. Es heißt, sie fressen Saatgut und Getreide, und jetzt müssen sie ausgerottet werden. Wenn die Massen genügend Lärm machen – auf Trommeln schlagen, Stöcke aneinanderhauen, auf Töpfe und andere Kochutensilien klopfen, die noch nicht den Hochöfen zum Opfer gefallen sind –, fliegen die Spatzen weiter, ohne je Rast zu machen, bis sie vor Erschöpfung sterben und tot vom Himmel fallen. Ich setze ein Lächeln auf und verlasse mein Zimmer.
Kumei und ihr Sohn sind in der Küche. Ta-ming hat eine kleine Steinschleuder in der Hand und hüpft ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Kumei lächelt.
»Möchtest du heute Morgen mit uns kommen?«
Sie stellt mir immer dieselbe Frage, und immer antworte ich auf die gleiche Weise.
»Natürlich!«
Wir verlassen das Hofhaus, biegen links auf einen gepflasterten Weg, überqueren einen moosbewachsenen Steg, biegen wieder links und folgen dann dem im Schatten liegenden Bach. Nach etwa einer halbe Meile zweigt ein anderer Weg ab, der von Pappeln
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