Tochter des Glueck
Gras benutzen kann.«
»Als ich jung war und noch in meinem Heimatdorf wohnte, haben wir Blätter von einem Baum genommen, der am Fluss wuchs«, erinnert sich Fu-shee. »Meine Mutter gab mir zehn getrocknete Blätter für mein ganzes Leben. Jeden Monat saugt sich das Blatt voll Blut. Es trocknet, und dann benutzt man dasselbe Blatt im nächsten Monat wieder. Mit jedem Monat deines Lebens werden die Blätter härter. Ich war glücklich, in dieses Dorf hier einzuheiraten.«
Ich fürchte, dass ich auch gefragt werde, was ich benutze. Würden sie glauben, dass ich mir in Hongkong Monatsbinden gekauft habe oder dass mir meine Schwester welche aus Amerika geschickt hat? Dass ich die Binden nach jeder Benutzung wegwerfe? Das würde sich nicht gut anhören. Es könnte sogar ein schlechtes Licht auf meine Tochter werfen. Aber da gibt es jemanden, der noch argwöhnischer gefragt wird als ich.
»Was ist mit dir, Yong?« fragt jemand. »Du hast doch im Hofhaus gewohnt. Es hieß immer, ihr würdet etwas Besonderes benutzen.«
»Ich bereue diese Zeit und gebe meine Fehler zu«, antwortet Yong zerknirscht. In anderen Kommunen müssen Frauen wie sie ihre gebundenen Füße in einem langwierigen Prozess von den Bandagen befreien, um emotionale und körperliche Schäden zu vermeiden – durch die sie endgültig zum Krüppel geworden wären –, sodass die Füße nach und nach wieder ihre ursprüngliche Form annehmen und die Frauen auf den Feldern arbeiten können. In unserer Kommune haben wir nur eine einzige Frau mit gebundenen Füßen, und bisher hat man ihre Füße in Ruhe gelassen. Trotzdem sind sie eine sichtbare Erinnerung an ihre privilegierte Vergangenheit. Die anderen beugen sich vor, um sich Yongs Geständnis anzuhören. »Die Frauen im Hofhaus haben die duftende Asche des Räucherwerks verwendet, das in der Ahnenhalle verbrannt wurde.«
» Aiya! Aus der Ahnenhalle?«
» Bah! «
Die Frauen schütteln ungläubig den Kopf. Wenn wir nicht unter uns wären, würde Yong wahrscheinlich bei einer der politischen Versammlungen angegriffen oder zur öffentlichen Selbstkritik gezwungen werden.
»Du hast der Klasse der Grundbesitzer angehört«, sagt jemand. »Du konntest tun und lassen, was du wolltest.«
»So mag es für euch ausgesehen haben«, antwortet Yong, »aber ich musste nicht nur meinem Mann gehorchen, sondern auch der ersten, zweiten und dritten Ehefrau. Sie waren grausam – schlimmer als die schlimmste Schwiegermutter.«
Mir ist es unangenehm, etwas über böse Schwiegermütter zu hören, denn Fu-shee hat meine Tochter nicht so aufgenommen, wie Joy es sich gewünscht hätte. Andererseits versteht Joy nicht, dass es tief verwurzelte und fundamentale Beziehungen gibt, die sich nicht ändern können, nur weil der Vorsitzende Mao das sagt. Sie weiß, dass sich Schwiegermütter seit Urzeiten mit ihren Schwiegertöchtern bis aufs Blut bekämpfen, aber sie begreift es nicht. Ich habe ihr erklärt, dass das Schriftzeichen für Streit zwei Frauen unter einem Dach darstellt. Ich habe das alte Sprichwort zitiert: »Eine verbitterte Ehefrau harrt aus, bis sie zur Schwiegermutter wird.« Das bedeutet, dass sich eine Ehefrau in der Familie Schritt für Schritt hocharbeiten muss, bis sie Respekt verlangen kann. Doch Joy meint, so eine Denkweise hat in der neuen gesellschaftlichen Ordnung keinen Platz mehr. Sie kann sagen, was sie will, aber Schwiegermütter werden noch dieselben sein, lange nachdem ich tot bin und Joy tot ist und der Vorsitzende Mao nur noch eine schlechte Erinnerung.
Um elf machen wir in der Kantine Frühstückspause, was mir sehr gefällt, denn in der Neuen Gesellschaft sind Frauen von der Last befreit, für ihre Familien kochen zu müssen. Alles wird für uns zubereitet. Manche murren, dass gemeinsame Speisesäle das Herz der chinesischen Familie zerstören. Immerhin gruppiert sich das Familienleben um Frühstück, Mittag- und Abendessen herum. Aber ich bin der Meinung, wir essen trotzdem noch gemeinsam. Seit meiner Ankunft ist die Kantine noch ausgebaut worden (dazu brauchte es nicht viel – lediglich noch mehr Maisstauden, die zu Wänden zusammengebunden und als windiges Dach über ein Bambusgerüst gelegt wurden). Nun fasst die Kantine etwa tausend Menschen. Wie bei jedem Essen laufen auch an diesem Vormittag Kinder zwischen den Tischen umher, alte Frauen schwatzen, und alle anderen reden über das Wetter und die bevorstehende Ernte. Dadurch bekommt jede Mahlzeit den Charakter eines Festmahls, nur
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