Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Glücks - Roman

Tochter des Glücks - Roman

Titel: Tochter des Glücks - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
Glück der anderen teilzuhaben und selbst Freude zu empfinden.«
    Dann schwankt Yong nach vorne. »Der Himmel hat die Welt erschaffen«, sagt sie, »aber er vergaß das Glück dabei. Das trifft besonders auf Frauen zu. Bei meiner Hochzeit stellte mein Vater Leute an, die weinten. Es sollten so viele Tränen vergossen werden, dass der Yangtze über die Ufer trat. Sieben Tage lang lebte ich nur von Brühe, damit ich weich und gehorsam wurde. Über meinem Gesicht hing ein Schleier. Als mein Ehemann ihn anhob, sah ich ein strenges Gesicht. Damit wollte man mir zu verstehen geben, dass ich mich fügen musste. Erst mit dem Vorsitzenden Mao haben wir unser Glück gefunden. Ich wünsche Tao und Joy viel Freude.«
    Es folgen weitere derbe Witze, unzüchtige Sticheleien und rüpelhaftes Gelächter aus den Reihen der Gäste. Noch mehr Reiswein wird getrunken. Dann ist es Zeit. Alle außer Tao und Joy verlassen den Raum. Die Tür wird geschlossen. Die jungen Männer gehen nach draußen. Sie klatschen, johlen und schlagen alles gegeneinander, was sie in die Hände bekommen, um Lärm zu machen – alles, um die Konzentration ihres Freundes zu stören und das, was Eheleute tun, zu verlängern. Die jungen Frauen stehen vor der Tür der Hochzeitskammer und lauschen – allen voran Kumei und Jie Jie. Sie fangen an zu kichern. Haben sie schon etwas gehört?
    Am nächsten Tag endet Z. G.s Auftrag hier. Heute brechen wir nach Süden auf, in eine andere Kommune. Wir packen unsere Sachen, ich wickle meine Kamera und die paar Filmrollen, die ich mitgenommen hatte, in einen Schal. Ich gehe den Hügel hinauf zu dem Haus, in dem Joy nun lebt. Es ist noch früh, und die Bambusmatten und Bettdecken für den Großteil der Familie liegen noch auf dem Boden des Hauptraums. Die Kinder stehen herum, wie Gott sie schuf. Wenn sie nichts anhaben, wirken sie noch schmutziger.
    Die Tür zum anderen Zimmer ist noch geschlossen. Ich möchte mir Joy und Tao da drinnen nicht vorstellen, scheue vor dem Gedanken zurück, was sie letzte Nacht dort getan haben. Joy kommt heraus. Ihren Gesichtsausdruck verstehe ich nicht. Zweifel? Verwirrung? Abscheu? Ich frage mich, ob Joys Schwiegervater wohl das Hochzeitslaken nach Blutspuren untersucht, wie es mein Schwiegervater vor vielen Jahren getan hat. Zumindest das bleibt ihr erspart. Entweder gibt es diese Tradition im Neuen China nicht mehr, oder diese Familie besitzt keine Laken.
    Werden Joy und Tao heute Nacht mit den anderen Kindern im Hauptraum schlafen? Wenn Joy und Tao in Zukunft tun wollen, was Eheleute tun, werden sie sich dann aus dem Haus stehlen und sich eine Stelle auf dem Feld suchen? Ich sehe Joys Blick. Das Strahlen, das gestern noch in ihren Augen leuchtete, ist verschwunden. Ich erinnere mich an meine Enttäuschung nach meiner Hochzeitsnacht – darum macht man dieses ganze Theater? Aber bei mir waren die Umstände völlig anders. Joy hat darauf beharrt, dass sie verliebt ist. Vielleicht ist also das, was Eheleute tun, nicht das Problem. Vielleicht ist sie heute Morgen in einem kleinen Dorf am Ende der Welt im zweiten Zimmer einer Hütte aufgewacht, die zwölf Leute beherbergt, und hat endlich gemerkt, was sie getan hat.
    Ich möchte sie gerne fragen, was los ist, aber ich traue mich nicht so recht. Stattdessen sage ich leise auf Englisch zu ihr: »Ich bitte dich ein letztes Mal, mit mir nach Hause zu kommen. Es ist nicht zu spät …«
    Meine Tochter – zitternd und unsicher – starrt zur offenen Tür hinaus. Schweiß glänzt auf ihrer Oberlippe. Sie steht ganz still da.
    »Komm mit, weg von hier, Joy«, fahre ich auf Englisch fort – eine Sprache, die mir an diesem klaustrophobischen Ort so offen und frei vorkommt. »Bitte.«
    Als sie den Kopf schüttelt, gebe ich ihr meine Hochzeitsgeschenke – meine Kamera, die Filme und den Schal. »Mach ein paar Bilder«, sage ich. »Schick mir den Film, ich lasse ihn entwickeln. May bekommt dann ein paar von den Aufnahmen. Sie wird sehen wollen, wo du hier bist.«
    Joy begleitet mich den Hügel hinunter zum Hofhaus. Z. G. und ich nehmen unser Gepäck. Dann bringt sie uns noch den Hügel hinauf, der hinaus aus dem Dorf führt. Über uns ziehen fischschuppenförmige Wolken über den Himmel. Zikaden zirpen. Beim Begrüßungsschild verabschieden wir uns. Mein Mädchen weint nicht, genauso wenig wie ich, aber als ich ihr ins Gesicht schaue, sehe ich nicht die triumphierend starke Braut des letzten Abends, sondern jemanden, der unsicher ist. Als Z. G. und ich die

Weitere Kostenlose Bücher